Bandion-Ortner und der Dialog

Am Montag dem 26.11.2012 wurde in Wien das König Abdullah Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog feierlich eröffnet. Am selben Tag erschien im Kurier ein Interview mit der Vizegeneralsekretärin und ehemaligen österreichischen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner. Hoffnungsvoll bemerkt sie darin: „Der Dialog funktioniert wirklich. Ich war selbst überrascht, in welch harmonischer Art und Weise er abläuft.“ Angesprochen auf die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien legt sie in beeindruckend schlichter Weise die Vorstellung ihres Zentrums von Dialog und Menschenrechten dar:

„Gegenfrage: Was würde sich ändern, wenn der Austausch nicht stattfände. Dialog ist immer besser als Monolog. Wir sind nicht dazu da, um andere zu beurteilen oder uns irgendwo einzumischen. Es geht darum, Unterschiede herauszuarbeiten und zu akzeptieren. Wir können die Welt nicht von heute auf morgen verändern, das wissen wir, doch langfristig wird unsere Arbeit Früchte tragen – in allen Ländern dieser Welt. Und sie wird auch zur Verbesserung der Menschenrechte, letztlich zum Frieden beitragen.“

Nun ist es ohne Zweifel wichtig, auch über ideologische und weltanschauliche Gräben hinweg miteinander zu reden und Konflikte verbal auszutragen, aber ein Dialog mit Vertretern eines der brutalsten Regime der Welt mit seiner extremistischen Auslegung von Religion sollte weder Harmonie noch Akzeptanz von Unterschieden zum Ziel haben, will er nicht zum diplomatischen Small Talk verkommen.

Die Unterschiede zwischen Saudi-Arabien und einem demokratischen Land sind bekannt und bedürfen keiner Herausarbeitung. Dass Saudi-Arabien die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht unterzeichnet hat ist ebenso bekannt, wie die Tatsache, dass es diese mit Füßen tritt. Saudi-Arabien verneint Menschenrechte und Schutzrechte seiner Bürger und noch mehr seiner Bürgerinnen mit dem Hinweis auf eine höhere, göttliche Gerechtigkeit. Vor allem das Recht auf Religionsfreiheit kann Saudi-Arabien nicht akzeptieren; das Königreich versteht sich ausdrücklich als monoreligiöser Staat, der selbst andere, vom herrschenden Wahhabismus abweichende Strömungen des Islam gewaltsam unterdrückt. Gotteshäuser oder Gebetstätten anderer Religionen als des Islam existieren in Saudi-Arabien nicht. Juden ist die Einreise nach Saudi-Arabien nicht erlaubt, sie erhalten kein Visum (siehe den Gastkommentar von Nina Scholz vom 20.11.2012). Es wäre eine interessante Frage, ob Rabbi David Rosen, Board-Mitglied des Dialogzentrums, dennoch eine Einreisegenehmigung nach Saudi-Arabien erhalten wird, wenn, wie angekündigt, Folgetreffen zum Dialog in Saudi-Arabien stattfinden werden.

In einem Interview, das im Juli dieses Jahres im Standard erschien, antwortete Frau Bandion-Ortner, auf die Situation der Frauen in Saudi-Arabien angesprochen:

„Es ist sicher nicht vergleichbar mit unseren Standards hier, keine Frage. Ich habe eine Frau aus Saudi-Arabien kennengelernt, die hier bei uns mitarbeitet, auch Kopfbedeckung trägt, aber ich muss sagen: Die ist so tough und selbstbewusst. Es ist ein Vergnügen, mit ihr zusammenzuarbeiten. Da sieht man wieder, man hat totale Vorurteile, glaubt, diese Frauen haben kein Selbstbewusstsein und machen nur, was ihnen die Männer anschaffen. Das stimmt aber überhaupt nicht.“

Unzweifelhaft gibt es auch in Saudi-Arabien selbstbewusste Frauen, aber Bandion-Ortner sollte bekannt sein, dass Frauen über keine ihnen eigenen Rechte verfügen und dass Frauen weder wählen dürfen (was sich 2015 ändern soll), noch sich auf andere Art ungestraft politisch betätigen können? Auch die von ihr angeführte Frau braucht in Saudi-Arabien und für ihre Tätigkeit im Ausland die Zustimmung eines männlichen Vormunds (Vater, Ehemann). Das Glück, einen liberalen und vermutlich modernen Ehemann oder Vater zu haben, ändert nichts an der Tatsache, dass sie im Zweifelsfall tun muss, was er verlangt. Es ändert nichts daran, dass ihre Situation prekär ist. Eine Frau ist in Saudi-Arabien keine eigenständige Rechtsperson, sie hat keine rechtliche Handhabe gegen Entscheidungen ihres Vormunds und bekommt ohne diesen weder einen Pass, noch eine Arbeitserlaubnis.

Ähnlich prekär ist die Situation hunderttausender „Gastarbeiter“. Ohne Rechte leben sie in zum Teil sklavenähnlichen Verhältnissen und sind von der Gunst ihres Arbeitgebers abhängig. Auch hiervon sind insbesondere (aber nicht nur) Frauen betroffen, die als „Haushaltshilfen“ ins Land geholt und oft genug auch sexuell ausgebeutet werden.

Der Unterschied zwischen Saudi-Arabien und Westeuropa ist der Unterschied zwischen einem barbarischen Regime, dem der Begriff der Menschenwürde fremd ist und demokratischen Ländern, in denen die Menschen in weitgehender Freiheit leben. Ist Bandion-Ortner tatsächlich der Meinung, dass wir das nicht beurteilen sollten? Dass wir das akzeptieren sollten? Dass wir uns nicht einmischen dürfen? Oder folgt sie schlicht dem Diktat ihres saudi-arabischen Chefs, Faisal bin Abdulrahman bin Muaammar, der das Zentrum leitet? Faisal war bis vor kurzem Vizebildungsminister von Saudi-Arabien und für Schulbücher mitverantwortlich, in denen andere Religionen verunglimpft werden, in denen Juden als Affen und Christen als Schweine und beide als „Feinde des Islam“ tituliert werden.

Saudi-Arabien investiert weltweit Milliarden in den Kulturkampf, baut Moscheen, Schulen und andere Einrichtungen, die einzig der Propagierung des wahhabitischen Islam dienen. Diese Propagandatätigkeit ist bereits in vielen europäischen Ländern ein ernstes Problem, auch in Österreich. Sie wird auch in den Ländern der arabischen Welt zu einem immer größeren Problem. Kaum eine extremistische, salafistische Strömung, die nicht Geld aus Saudi-Arabien erhält. Vor diesem Hintergrund ist es nur schwer vorstellbar, dass das Königreich ausgerechnet mit seinem Wiener Dialogzentrum keine politischen Ambitionen verbindet. Es ist wenig glaubhaft, dass Saudi-Arabien keinerlei Einfluss auf die Ausrichtung des Dialogzentrums haben wird. Sein Leiter gilt als enger Vertrauter des saudischen Königs und saß in der saudischen Regierung. Dass ein internationales Dialogzentrum, bei dem es um die Verständigung zwischen den Religionen gehen soll, den Namen des saudischen Königs, eines Politikers, trägt, ist entlarvend. Da scheint es nur ein Detail am Rande, dass weder am Mittagsbuffet des ersten vom Zentrum veranstalteten Symposiums, noch auf dem Festbankett zur Eröffnung Alkohol ausgeschenkt wurde.[1] Damit kein Missverständnis aufkommt: Niemand soll etwas essen oder trinken müssen, was er oder sie nicht essen oder trinken will. Es ist daher nicht nur verständlich, sondern erforderlich, dass Speisen nach den Speisevorschriften aller beteiligten Religionen angeboten werden. Der Verzicht auf Alkohol ist allerdings ein rein islamisches Speisegebot. Speisen aller Religionen anzubieten, bedeutet, allen die Wahl zu lassen. Nach dieser Vorgabe hätte auch Alkohol angeboten werden können, denn Muslime wären nicht gezwungen gewesen, diesen zu trinken, so wie Juden nicht gezwungen waren, von den nicht-koscheren Platten zu essen. Keinen Alkohol zu servieren, zwang jedoch alle Anwesenden, ein islamisches Gebot einzuhalten. Ein Detail am Rande, aber bezeichnend für den Anspruch fundamentalistischer Muslime, anderen ihre Regeln aufzuzwingen.

Es fällt schwer, hinter dem Zentrum keine politisch-religiösen Ambitionen der Wahhabiten zu vermuten und noch schwerer fällt es, in der österreichischen Beteiligung den Wunsch nach Weltfrieden zu sehen. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass die österreichische Regierung über Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien hinwegzugehen bereit ist und die Auswirkungen der saudischen Propaganda auf europäische Muslime ignoriert, um nicht auf die Millionen verzichten zu müssen, die dieses Zentrum nach Wien bringen soll und auch nicht auf die sich ergebenden oder bestehenden guten Wirtschaftsbeziehungen. Österreich wäre nicht das erste Land, das über die saudisch-islamistische Propaganda hinwegsieht, um gute Beziehungen nicht zu gefährden.[2] Bandion-Ortner betont explizit den wirtschaftlichen Nutzen des Dialogzentrums: „Zudem profitieren die Stadt und das ganze Land auch wirtschaftlich von den Großkonferenzen, die wir abhalten werden. Es ist eine echte Chance für Österreich.“ Wenn Geld so unverblümt in einem Atemzug mit Dialog und Weltfrieden genannt wird wie in dem Kurier-Interview, sind die letzten Hemmungen gefallen. Die österreichische Regierung hofiert das gegenüber anderen Religionen und Kulturen intoleranteste Land der Welt und verschafft ihm einen friedlichen und dialogbereiten Anstrich. Sie fällt damit nicht zuletzt saudi-arabischen Kritikern und Menschenrechtsaktivisten ebenso in den Rücken, wie den hier lebenden Muslimen, die gegen das Zentrum protestiert haben. In ihrer Funktion als Vizegeneralsekretärin des König Abdullah Zentrums trägt Frau Bandion-Ortner hierfür auch persönlich die Verantwortung.