Blasphemiegesetze?

Zuerst ließ der Schriftsteller Martin Mosebach in einem Beitrag in der Berliner Zeitung mit der Forderung nach strengeren Blasphemiegesetzen aufhorchen. Vor wenigen Tagen folgte ihm der Erzbischof von Bamberg, Ludwig Schick, mit der Aussage, ein Gesetz „gegen die Verspottung religiöser Werte und Gefühle“ sei nötig. (WAZ) Dem kann auch Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, etwas abgewinnen. Er plädiert zwar nicht für neue Gesetze, aber der grundgesetzlich garantierte Schutz der freien Religionsausübung solle „in der Rechtsprechung konsequent umgesetzt werden, derzeit vor allem gegen das aggressive, ja missionarische Vorgehen areligiöser Extremisten“, befand er. Religionen sollten wieder verstärkt vor veröffentlichter Religionskritik geschützt werden. Dieser Versuch, das Recht auf Religionsfreiheit gegenüber allen anderen Grundrechten zu erhöhen und es geradezu absolut zu setzen, scheint allerdings nicht einmal mit dem Recht auf Religionsfreiheit vereinbar zu sein.

In Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) heißt es: “Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit andern öffentlich oder privat […] zu bekennen.”

In Österreich ist die EMRK im Verfassungsrang, Art. 4 des Deutschen Grundgesetzes zur Religionsfreiheit lautet inhaltlich ähnlich. Der Gesetzgeber hat nichtreligiösen Weltanschauungen den gleichen Rang zugewiesen wie religiösen, der Glaube an einen Gott steht auf einer Stufe mit dem Nichtglauben. Diese im Grundrecht auf Religionsfreiheit angelegte Gleichrangigkeit wird durch Blasphemiegesetze zugunsten religiöser Bekenntnisse verschoben, denn diese schützen einseitig religiöse Bekenntnisse. Im Gegensatz zu Gläubigen können Nichtreligiöse ihre Weltanschauung nicht durch eine Anzeige wegen Blasphemie vor Verspottung schützen. Der § 166 StGB (Deutschland) wurde immerhin dahingehend reformiert, dass nicht mehr Gott an sich Schutzobjekt ist, sondern alleine die Störung des öffentlichen Friedens durch Beschimpfung einer religiösen Lehre unter Strafe steht. Mit dieser “Störung des öffentlichen Friedens” sind allgemein Handlungen oder Äußerungen gemeint, die geeignet sind, Menschen zu ängstigen oder zum Schaden anderer aufzuwiegeln. Im Zusammenhang mit dem erwähnten § 166 kann das nur bedeuten, dass andere gegen die Anhänger einer Religion aufgewiegelt werden. Wie schwammig diese Formulierung ist, zeigt sich allerdings an den nach wie vor erhobenen Anklagen wegen Blasphemie, die immer wieder zu Verurteilungen führen, ohne das eine „Störung des öffentlichen Friedens“ auch nur irgendwie erkennbar wäre. So wurde etwa 1994 das Musical Das Maria-Syndrom von Michael Schmidt-Salomon verboten, obwohl es kaum vorstellbar ist, dass die Besucher nach einer Theateraufführungen beginnen könnten, den öffentlichen Frieden zu stören.[1]

Eine bloße, gegen eine Religion gerichtete Meinungsäußerung hindert niemanden an der freien Ausübung seiner Religion. Ein Schutz Gläubiger vor beleidigenden oder gar tätlichen Angriffen durch andere wiederum, scheint durch diverse Gesetze, die Verleumdung, Beleidigung und Verhetzung unter Strafe stellen, ausreichend gewährleistet. Diese Gesetze haben den Vorteil, dass sie ausnahmslos alle Menschen schützen. Blasphemiegesetze hingegen schützen einseitig und ausschließlich Gläubige und ihren Glauben vor dem spöttischen Blick von außen. Dieser ist jedoch durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt, jeder Anhänger einer nichtreligiösen Weltanschauung muss ihn schließlich auch ertragen können.

Dass Gott selbst vor menschlichem Spott geschützt werden muss, sollte selbst für Gläubige schwer vorstellbar sein; oder, wie es der deutsche Rechtsgelehrte Paul Johann Anselm von Feuerbach 1801 prägnant formulierte: “ Dass die Gottheit injuriiert werde, ist unmöglich; dass sie wegen Ehrenbeleidigung sich an Menschen räche, undenkbar; dass sie durch Strafe ihrer Beleidiger versöhnt werden müsse, Torheit.”[2]

Blasphemiegesetze sind ein Relikt aus einer Zeit, in der einer religiösen Weltanschauung Vorrang vor allen anderen gegeben wurde. Im Sinne der Rechtsgleichheit von religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen sollten Blasphemiegesetze nicht verschärft, sondern ersatzlos gestrichen werden.



[1] Heiko Heinisch, Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien 2012, S. 178

[2] Paul Johann Anselm von Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 13. Auf. 1840, § 303.