Buchempfehlung: Schwarzbuch Menschenrechte

“Schwarzbuch Menschenrechte” – das Buch der österreichischen Politikwissenschaftlerin und Journalistin Irene Brickner gibt einen kritischen Überblick über die Lage der Menschenrechte in Österreich.

In fünf Kapitel behandelt die Autorin Menschenrechtsverstöße auf verschiedenen Ebenen von Staat und Gesellschaft: Gesetze, die etwa das Recht auf Asyl einschränken; Gerichte, die die Verteidigung der Angeklagten behindern; Verwaltungsakte, die die Würde des/der Einzelnen in Frage stellen; nicht oder unzureichend vorhandener Schutz vor alltäglichen Diskriminierungen wie etwa bei der Arbeits – oder Wohnungssuche und vieles mehr.

Statt einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema Menschenrechte beschreibt die Autorin die Missachtungen grundlegender Rechte und deren praktische Auswirkungen. Anhand exemplarisch geschilderter Schicksale werden diese Auswirkungen anschaulich und die Angriffe auf die Würde von Menschen nachvollziehbar; die Notwendigkeit garantierter Menschenrechte wird genau dadurch oft besser erklärt, als eine theoretische Abhandlung es könnte: Was bedeutet Abschiebung für einen Menschen, der sich womöglich gerade ein neues Leben aufgebaut hat? Wie ist das, eine Wohnung nicht zu bekommen, weil die sexuelle Orientierung nicht dem Mainstream entspricht oder bei einem Job trotz bester Qualifikation aufgrund der Hautfarbe abgelehnt zu werden? Wie fühlt sich ein Mensch, der wegen einer Behinderung oder einer Krankheit kein selbst bestimmtes Leben mehr führen darf, sondern einem Pflegesystem ausgeliefert wird, dem es nicht um menschliche Würde, sondern allein um die Kostenminimierung geht?

Durch ihre jahrelange Arbeit als Journalistin kann Irene Brickner aus einem reichen Fundus an Fallbeispielen schöpfen, die sie in gut lesbaren Geschichten aufbereitet. Experteninterviews zu den einzelnen Themenkomplexen runden die Kapitel ab.

Kritisieren lässt sich einzig, dass die Autorin den Themenbereich “Schutz vor Armut” und “Recht auf Arbeit” unkommentiert neben die Kapitel zu menschenrechtlichen Freiheiten stellt. An dieser Stelle wäre vielleicht eine etwas ausführlichere theoretische Auseinandersetzung mit den philosophischen und ideengeschichtlichen Voraussetzungen der Menschenrechte nötig gewesen, um Solidarrechte von Freiheitsrechten abzugrenzen. Die Autorin kann zwar  sehr gut zeigen, dass soziale Sicherheit eine Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben darstellt, ideengeschichtlich haben Solidarrechte jedoch einen vollkommen anderen Hintergrund als die bekannten Freiheitsrechte. Sie wurden erst spät, 1948, und auf Druck der sozialistischen Staaten in den Katalog der Menschenrechte hineinreklamiert, und mussten Diktaturen jahrzehntelang (und zum Teil noch heute) als Argument für die Missachtung von Freiheitsrechte dienen: Zunächst müsse soziale Gerechtigkeit hergestellt werden, hieß es aus den sozialistischen Staaten, danach könne dann auch über individuelle Freiheiten diskutiert werden. Gerade das im Buch geforderte “Recht auf Arbeit” mutierte aber in den sozialistischen Staaten zu einer Arbeitspflicht, deren Missachtung mit Gefängnis oder Arbeitslager geahndet wurde. Soziale Gerechtigkeit ist ein Grundpfeiler freier Gesellschaften und damit ein gesellschaftlicher Auftrag, aber kein Menschenrecht im eigentlichen Sinn. Ihre Wandlung zu Menschenrechten der sogenannten zweiten Generation führte in der Vergangenheit stets zu einer Verwässerung und Einschränkung menschenrechtlicher Freiheiten.

Dennoch ist das “Schwarzbuch Menschenrechte” ein notwendiges Buch, das die Absicht der Autorin, “die Wichtigkeit der Menschenrechte für den Einzelnen herauszustreichen” mehr als erfüllt. Höchste Empfehlung nicht nur für Österreicherinnen und Österreicher, denn die meisten der geschilderten Fälle könnten sich leider so oder in ähnlicher Form in jedem europäischen Land ereignen.

 

Irene Brickner, Schwarzbuch Menschenrechte:

Worüber Österreich schweigt,

Wien Residenz Verlag 2012