Charlie Hebdo und Mohammed

Wenn das französische Satiremagazin Charlie Hebdo Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed abdruckt, ist das ein mediales Großereignis. Die Beziehung zwischen Charlie Hebdo und Mohammed hat mittlerweile eine lange Geschichte. 2006, im Karikaturenstreit, bezog das Magazin als eines der ersten deutlich Stellung, druckte die dänischen Karikaturen nach und fabrizierte eigene zum Thema. 2011 erschien eine Sondernummer unter dem Titel Charia Hebdo; fiktiver Chefredakteur war Mohammed. Daraufhin wurde ein Brandanschlag auf die Redaktion verübt. Die Räume brannten aus und das Magazin nahm ein Asylangebot der Libération wahr. Und während im September 2012 die Wogen wegen eines Mohammed-Films hochgingen, ließ es sich Charlie Hebdo nicht nehmen, das Thema aufzugreifen und neue Karikaturen zu veröffentlichen.

Am vergangenen Mittwoch war es wieder so weit. Charlie Hebdo publizierte eine Sondernummer unter dem Titel „La Vie de Mahomet“, keine Karikatur, sondern einen 64seitigen Comic, der nach den Worten des Chefredakteurs das Leben Mohammeds nacherzählt: Eine Comic-Biographie, die ausschließlich auf islamischen Quellen basiere. Keine Zeitung im deutschen Sprachraum ließ dieses Ereignis kalt. Welches Ereignis? Comics erscheinen jeden Tag und selbst Gerhard Haderers „Das Leben des Jesus“ oder „Gott höchstselbst“ von Marc-Antoine Mathieu haben nur aufgrund ihres Erscheinens keine solche Aufmerksamkeit ausgelöst – zu mehr als Rezensionen hat es in diesen Fällen zunächst nicht gereicht. Einzig die Süddeutsche Zeitung bemerkt, dass es noch gar kein Ereignis gibt, dass die befürchteten Reaktionen „von islamischer Seite“ bislang ausgeblieben seien. Das Ereignis, das hier vorauseilende Aufmerksamkeit erregt, ist der mögliche Protest gegen das Erscheinen, der von vielen Medien heraufbeschworen wird. In nahezu allen Artikeln werden die Gewalttaten aufgelistet, die Charlie Hebdo in der Vergangenheit ausgelöst habe. So heißt es beispielsweise im Standard: „Zuletzt hatte Charlie Hebdo im September mit der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen wütende Reaktionen von Muslimen provoziert, die Abbildungen des Religionsgründers ablehnen.“ In einem weiteren Artikel wird bereits ein neuer Karikaturenstreit an die Wand gemalt. Der Spiegel sieht einen „Eklat mit Ansage und jeder Menge Kalkül“. Die NZZ schreibt, es stünde möglicherweise neuer Ärger bevor. Laut Handelsblatt sind Proteste vorprogrammiert. In der Frankfurter Rundschau  ist zu lesen: „Es droht wieder Ärger um Charlie Hebdo.“ Der Artikel endet mit dem Hinweis auf die 150 Toten während der Proteste um die dänischen Karikaturen.

Neben dem implizierten Vorwurf an die Redaktion von Charlie Hebdo (Hinweise auf die Freiheit von Kunst und Meinungsäußerung sucht man bis auf eine Ausnahme – die Presse – vergeblich.) spürt man beim Lesen geradezu den Nervenkitzel in Erwartung der kommenden Gefahren. Alle wollen dabei sein, wenn es möglichst ordentlich und laut kracht; alle wollen das Schauspiel aus der ersten Reihe betrachten – aber doch nicht so nah, dass die „Ereignisse“ auf das eigene Blatt übergreifen und sie Gefahr laufen, selbst ins Visier herbeigesehnter gewalttätiger Islamisten zu geraten. Die Lust an der Randale vereint sich mit angstvoller Akzeptanz des islamischen Bilderverbots zu einer merkwürdigen Melange: Alle Zeitungen berichten in teils großen, bebilderten Artikeln über den Comic und seine möglichen Folgen, fast alle drucken das Titelbild von Charlie Hebdo ab, vermeiden es dabei aber, ihren Leserinnen und Lesern das Corpus Delicti zu zeigen, das sich in der linken unteren Hälfte des Titelblatts befindet: Der kleine knollennasige Mohammed.Mohammed

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Entweder wird nur die obere Hälfte des Bildes abgedruckt, oder wie „zufällig“ liegt eine Hand oder ein Gegenstand über der Mohammed-Figur. Soweit überblickbar ist das Handelsblatt die einzige Ausnahme.

Sollte es zu gewaltsamen Protesten kommen, dürfen wir sicher sein, dass uns bunte Bilder brennender Botschaften, verletzter und blutender Menschen oder entstellter Leichen – wie zuletzt jene des US-Botschafters Chris Stevens in Libyen – frei Haus geliefert werden. Diese sind den Leserinnen und Lesern offensichtlich eher zuzumuten als eine harmlose Zeichnung Mohammeds.