Der Begriff Islamophobie

Eine Leseprobe aus unserem Buch: Heiko Heinisch; Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel „Der Begriff Islamophobie“.

Der Terminus Islamophobie ist eine Wortneuschöpfung der angelsächsischen Soziologie der 1990er Jahre. Der Begriff operiert mit einer aus der Psychologie stammenden Definition irrationaler Angstzustände: Als Phobie oder phobische Störung wird eine krankhafte, unbegründete und anhaltende Angst vor Situationen, Gegenständen, Tätigkeiten, Tieren oder Personen bezeichnet. Der erste Teil der Wortverbindung benennt den jeweiligen Auslöser dieser Angst, der in Verbindung mit dem Wort Phobie ein Krankheitsbild bezeichnet – zum Beispiel Arachnophobie (griechisch Arachno=Spinne), die Angst vor Spinnen oder Klaustrophobie (lateinisch claustrum=Käfig), die Angst vor engen Räumen. Der Auslöser einer Phobie ist demnach wertfrei; etwas, das für sich genommen nicht bedrohlich ist, aber bei der betroffenen Person Angst bis hin zu Panikattacken auslöst und deshalb in der Psychologie als Krankheitsbild beschrieben wird. Die Begriffsverbindung Islamophobie würde demgemäß eine krankhafte, weil unbegründete, Angst vor dem Islam bezeichnen. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass Religionen, Weltanschauungen, Ansichten, wissenschaftliche Theorien, kurz, jegliche Denk- und Vorstellungskomplexe nicht wertfrei sind. Sie rufen naturgemäß entweder Anerkennung/Zustimmung oder Kritik/Ablehnung hervor und sind somit von vornherein Auslöser von Diskussion und Wertung. Wir sprechen zu Recht nicht von Christentumsphobie, wenn Menschen die christliche Lehre und Kirchenpolitik kritisieren oder gar bekämpfen. Die Ablehnung der Evolutionstheorie, die mit dem Versuch einhergeht, Darwins Lehre aus dem Schulunterricht zu verbannen, wird nicht mit dem Begriff Evolutionsphobie beschrieben, ebenso wenig wird Kritik an oder Angst vor dem Kommunismus oder Kapitalismus als Phobie bezeichnet, und sei sie noch so emotional vorgetragen.

Der Begriff „Phobie“ definiert nicht Voreingenommenheit – sei sie rassistisch, religiös oder politisch begründet – „eine Phobie hat man, unter einer Phobie leidet man, mehr noch, sie hat einen, sie nimmt einen in Beschlag.“[1] Religionen und Weltanschauungen zu Gegenständen eines Krankheitsbildes zu machen, hätte zur Folge, dass jede Ablehnung oder Kritik derselben als illegitim, weil pathologisch, betrachtet werden könnte. Das ist weder wissenschaftlich noch wünschenswert, sondern schlichtweg Unsinn.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich schreibt auf ihrer Website: „Der Begriff der ‚Phobie’ bringt deutlich zum Ausdruck, dass eine ‚Heilung’ davon auch für den Betroffenen wünschenswert ist.“ Islamophobie, heißt es weiter, bezeichne „ein Verhältnis zum Islam als Religion und mehr noch den Menschen dieses Glaubens, das durch heftige emotionsgeladene Abneigung gekennzeichnet ist. Dabei wird durch tiefsitzende Ängste gegenüber dem Islam eine Dimension erreicht, die eine Einstellungsänderung sehr schwierig gestaltet und einen offenen Zugang zum Thema vorerst so gut wie unmöglich macht.“[2]

Auf internationaler Ebene ist die einflussreiche Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), ein Zusammenschluss sämtlicher islamischer Länder, die stärkste Verfechterin des Begriffs Islamophobie. Im Rahmen einer Kampagne gegen „Diffamierung von Religionen“ ist die Verabschiedung einer internationalen „Resolution gegen Islamophobie“ eines der erklärten Ziele der Organisation. Alle Staaten der Welt werden darin aufgefordert, Gesetze zu erlassen, die Islamophobie mit abschreckenden Strafen ahnden. Zur Untermauerung dieser Forderung setzte die OIC 2007 eine eigene Beobachtungsstelle ein, die „alle Formen der Islamophobie“ weltweit dokumentieren und jährlich einen Bericht veröffentlichen soll.[3] Unter Islamophobie versteht die OIC nach eigener Aussage „die Diffamierung des Islam sowie von Persönlichkeiten und Symbolen, die den Muslimen heilig sind.“[4] Es liegt auf der Hand, dass hier jede nicht genehme Äußerung über den Islam als Diffamierung und damit als islamophob klassifiziert werden soll. Neben Künstlern, Schriftstellern und Journalisten, die sich kritisch mit dem Islam auseinandersetzen, wäre auch die wissenschaftliche Forschung betroffen, die durch entsprechende Gesetze denselben Einschränkungen unterliegen würde, wie in den meisten Ländern der OIC. Historiker und Islamwissenschaftler etwa, die Mohammed als geschichtliche Figur in Frage stellen oder die Frühzeit des Islam anders beschreiben als die islamische Überlieferung es tut,[5] Archäologen, deren Befunde die islamische Geschichtsschreibung hinterfragen, Kulturwissenschaftler, die einige der Rituale der Wallfahrt in Mekka als ursprünglich heidnische, beziehungsweise buddhistische Bräuche bezeichnen[6] – sie alle würden sich, um nur einige Beispiele aus der Forschung zu nennen, der Verleumdung des Islam schuldig machen. Auch theologische Debatten sollen, geht es nach der OIC, unterbunden werden, wenn sie islamische Dogmen in Frage stellen. Ein Rabbiner dürfte beispielsweise die islamische Deutung der Kaaba als ein von Abraham erbautes Heiligtum nicht bestreiten. Ziel der Bestrebungen der OIC ist, neben einem Schutz vor Kritik, die weltweite Deutungshoheit über das Thema Islam. Das Verbot von Religionskritik, wie es in fast allen islamischen Staaten gesetzlich verankert ist und dort auch von großen Teilen der Bevölkerung als legitim betrachtet wird, soll nach Ansicht der OIC internationale Geltung erhalten.

Der Begriff Islamophobie geistert seit über 20 Jahren durch Medien und wissenschaftliche Publikationen, doch bis heute existiert keine präzise Definition des Begriffs; es obliegt vielmehr jeder und jedem Einzelnen, darunter zu verstehen, was ihr oder ihm beliebt.[7] Der Runnymede Trust, ein unabhängiger britischer Antirassismus Think Tank, versuchte 1997 eine Definition des Begriffs Islamophobie, um ihn für die Forschung greifbar zu machen. Die in diesem Zusammenhang entwickelten Kriterien zur Erfassung islamophober Einstellungen offenbaren das Dilemma und zeigen eine oft verblüffende Unkenntnis des Islam und seiner Geschichte.[8] Laut Runnymede Trust gilt beispielsweise eine Person dann als islamophob, wenn sie den Islam mit Aussagen wie „der Islam ist…“ als monolithischen Block beschreibt, der für Veränderungen unempfänglich sei. Dementsprechend wird in Diskussionen häufig darauf hingewiesen, dass es den Islam nicht gebe. Der Althistoriker Egon Flaig fragt zu Recht, was wir mit dieser Erkenntnis wissenschaftlich gewonnen haben, und sieht darin lediglich einen „demagogischen Trick“. Selbstverständlich seien Religionen in Bewegung, einem stetigen Wandel ausgesetzt und historisch sowie regional unterschiedlich ausgeprägt, dennoch verfügten sie über „distinktive Züge, mit denen sie sich abgrenzen.“[9] Das rechtfertigt, sie in Kategorien zu fassen und auch als solche zu benennen, andernfalls dürften wir auch nicht mehr von dem  Judentum, dem Christentum oder dem Kommunismus reden. Kurioserweise reklamieren so gut wie alle Richtungen des Islam für sich, dass genau sie den richtigenIslam vertreten, und die untereinander geführten Abgrenzungskämpfe haben, ebenso wie der Vorwurf der Häresie, letztlich das Ziel, die Grenzlinie der Religion festzulegen und zu bestimmen, was der Islam ist, wer dazu gehört und wer nicht. Gerade diese Definitionskämpfe, welche in vielen islamischen Ländern in Unterdrückung und Verfolgung münden[10] und auch in Europa zu Ausgrenzungen führen, bestätigen, „dass die intellektuellen und religiösen Eliten aller beteiligten Strömungen den Islam als eine historische Entität betrachten und ihn dazu machen, indem sie sich vehement auf ihn beziehen.“[11] Das vom Runnymede Trust angeführte Kriterium zur Erfassung von Islamophobie würde somit eine Auffassung, die auch Bestandteil innerislamischer Auseinandersetzungen und Kämpfe ist, als islamophob kennzeichnen.

Verfechterinnen und Verfechter des Begriffs Islamophobie sprechen bezeichnenderweise immer dann verallgemeinernd von dem Islam, wenn er mit positiven Eigenschaften konnotiert wird: Der Islam sei eine Religion des Friedens, der Islam sei tolerant, der Islam verdiene Respekt, der Islam habe dem Abendland die Philosophie gebracht et cetera. Nun sind beispielsweise gerade diejenigen Muslime des Mittelalters, deren Philosophie im Westen aufgegriffen wurde, zu ihrer Zeit und bis heute von einem maßgeblichen Teil des Islam verfolgt und ihre Schriften vernichtet worden. Der berühmte arabische Philosoph ibn-Ruschd (Averroes), der im 12. Jahrhundert die Werke des Aristoteles ins Arabische übersetzte und kommentierte, fiel noch zu Lebzeiten bei den orthodoxen Kräften in Ungnade, die seine Verbannung aus Cordoba bewirkten. ibn rushdSeine Werke überlebten, ebenso wie diejenigen ibn-Sinas (Avicenna) und einiger anderer islamischer Philosophen, durch die europäische Rezeption; in der islamischen Welt hingegen fiel die Philosophie des 9. bis 12. Jahrhunderts der Orthodoxie zum Opfer, die keine sich auf die griechische Philosophie beziehenden Denker duldete.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob der Runnymede Trust mit seiner Behauptung, islamophob sei, wer im Sinne von „der Islam ist…“ einen monolithischen Block beschwöre, nicht auf ein Kritikverbot abzielt, denn es ist nicht davon auszugehen, dass lobende und schwärmerische Verallgemeinerungen des Islam als islamophob gewertet werden sollen.

Einem weiteren Kriterium zufolge ist eine Person dann als islamophob zu bezeichnen, wenn sie die Meinung vertritt, der Islam sei dem Westen unterlegen. Dieses „Kennzeichen“ versucht, einen Vergleich zwischen einer Religion (Islam) und einem Gesellschaftsmodell (der Westen) zu ziehen, müsste aber – wenn überhaupt – richtigerweise islamisches und westliches Gesellschaftsmodell vergleichen. Diesem Vergleich wiederum widmen sich sowohl modernistisch-islamische als auch islamistische Reformer seit dem frühen 19. Jahrhundert. Sie bedauern den Niedergang und die Unterlegenheit der islamischen Welt und liefern unterschiedliche Antworten auf die Frage nach deren Ursachen. Während erstere die Gründe im starren und einengenden Verständnis des Islam ausmachen und dessen Modernisierung anstreben, sehen Fundamentalisten und Islamisten sie gerade in den Modernisierungstendenzen, die als Abkehr und Entfremdung von den Ursprüngen des „wahren Islam“ beschrieben werden. Die Lösung bestehe demnach in der Rückkehr zu diesen Ursprüngen.[12]

Der ägyptische Gelehrte Rifa’a Rafi al-Tahtawi, der sich von 1826 bis 1831 in Paris aufhielt, schrieb in seinem später publizierten Pariser Tagebuch, dass die zivilisatorische Überlegenheit der Europäer unverkennbar sei und forderte die Muslime auf „nach den fremden Wissenschaften und Künsten und Fertigkeiten“ zu streben, ohne dabei die kulturelle Moderne zu übernehmen.[13]Tahtawi 1930 erschien in Kairo ein Buch mit dem Titel Warum sind die Muslime zurück geblieben, und warum kamen andere voran?. Geschrieben hatte es der syrische-libanesischen Journalist, Dichter und Politiker Schakib Arslan, ein Vertreter des Panislamismus, der eine Reform des Islam mit dem Ziel der Wiederherstellung des osmanisch-islamischen Imperiums anstrebte.[14] Muslimische Intellektuelle, wie der marokkanische Historiker Abdallah Laroui, der 1974 eine Textsammlung mit dem Titel Die Krise der arabischen Intellektuellen veröffentlichte, sprechen offen von der Rückständigkeit des Orients gegenüber dem Okzident.[15] Die Frage der Unterlegenheit der islamischen Welt spielt bis heute eine zentrale Rolle in der innerislamischen Diskussion. Der marokkanische Philosoph Mohammed Abed al-Jabri hat sich in den letzten 30 Jahren intensiv mit dem Niedergang der arabischen Kultur befasst,[16] und selbst Ahmad Kamal Abul-Magd, ehemaliges Mitglied der ägyptischen Muslimbrüder, beklagt die blockierte Weiterentwicklung der arabisch-islamischen Gesellschaften.[17] Zuletzt hat der in Riad lehrende Wissenschaftler und Direktor des Islamischen Instituts für Wissenschaft und Technische Entwicklung, Ali Kettani, nach den Gründen für den seit Jahrhunderten anhaltenden Niedergang der islamischen Wissenschaften gefragt und diese im Überlegenheitsgefühl und der Selbstgefälligkeit vermutet, die durch die jahrhundertelange Größe und Vorherrschaft der Araber entstanden seien.[18] Das Kriterium des Runnymede Trust zur Erfassung von Islamophobie würde demnach auch auf eine Reihe distinguierter muslimischer Denker der letzten 200 Jahre zutreffen, was mit Sicherheit nicht beabsichtigt ist. Letztlich läuft auch dieses Kriterium auf ein Kritik- und Diskussionsverbot hinaus. Die Kriterien scheinen ebenso unpräzise und unwissenschaftlich wie der Begriff selbst.Kritik d. arab. Vernunft

In Deutschland wurde der Begriff Islamophobie vor einigen Jahren im Rahmen der von Wilhelm Heitmeyer geleiteten soziologischen Langzeitstudie Deutsche Zustände eingeführt.[19] Jürgen Leipold und Steffen Kühnel, die im Rahmen dieser Studie den Bereich Islamophobie untersuchten, verstehen darunter sowohl „generelle ablehnende Einstellungen gegenüber muslimischen Personen“, als auch gegenüber der Religion an sich, „allen Glaubensrichtungen, Symbolen und religiösen Praktiken des Islams“.[20] Der von ihnen erstellte Fragenkatalog zur Erfassung islamophober Einstellungen veranschaulicht diese diffuse Herangehensweise. Danach gilt die Ablehnung folgender Aussage als Zeichen „der kulturellen Abwertung des Islam“ und damit als islamophob: „Der Islam hat eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht“.[21] Der Islam hat zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Teilen der Welt sehr unterschiedliche Kulturen hervorgebracht. Die Kultur Indonesiens ist ebenso islamisch, wie es die osmanische war, die Kultur der Berber in Algerien ist ebenso islamisch, wie die der Paschtunen in Afghanistan und Pakistan, der Lasen in der Türkei oder der Usbeken. Aber abgesehen von der Verallgemeinerung, die diesem Kriterium inne wohnt, liegt Bewunderung noch immer im Auge des Betrachters; das Adjektiv „bewundernswert“ ist nun einmal kein objektivierbares Kriterium.

Auch andere Marker der erwähnten Studie sind nicht in der Lage, eine spezifische Feindschaft gegenüber Muslimen zu erfassen. Den Aussagen „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden” und „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land” werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch all jene zustimmen, die prinzipiell gegen Zuwanderung sind und weder muslimische, noch christliche oder sonstige Flüchtlinge und Zuwanderer in der Nachbarschaft haben wollen. Ein Problem, das auch die Autoren der Heitmeyer-Studie bemerken,[22] ohne allerdings hieraus den naheliegenden Schluss zu ziehen: Wer ausländerfeindlich eingestellt ist, ist naturgemäß auch feindlich gegenüber Muslimen eingestellt. Eine spezifische Feindschaft gegenüber letzteren lässt sich aus diesen Fragen nicht ableiten. In den meisten Aussagen könnte das Wort Muslime durch Ausländer ersetzt werden und würde zu ähnlichen, wenn nicht zu gleichen Ergebnissen führen. Schon allein dadurch mangelt es dem Fragenkatalog an der für die Erfassung einer spezifischen Ablehnung gegenüber Muslimen notwendigen Präzision.

Es ist nicht verwunderlich, dass religiöse Organisationen und Vertreter islamischer Staaten einen Begriff wie Islamophobie gern zur Einschüchterung und Diffamierung von Kritikerinnen und Kritikern aufgreifen. So nennt die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich „die Position einer entschiedenen Anti-Haltung gegenüber dem Islam“ islamophob und sieht in ihr eine „wesentliche Facette der Fremdenfeindlichkeit“.[23] Wie sehr der Begriff mittlerweile strapaziert und funktionalisiert wird, zeigt nicht zuletzt die Reaktion des türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan, der im Dezember 2011 den Versuch des französischen Gesetzgebers, die Leugnung des Völkermords an den Armeniern unter Strafe zu stellen, als islamophob bezeichnete.[24] So bedenklich es ist, Meinungen unter Strafe zu stellen und Gerichte über geschichtliche Ereignisse befinden zu lassen, statt diese dem öffentlichen Diskurs auszusetzen (das französische Verfassungsgericht hat das Gesetz mittlerweile abgelehnt), so lächerlich ist es, den Vorwurf der „Islamophobie“ zur Verteidigung türkischer Politik und offizieller Geschichtsschreibung ins Feld zu führen. In der Türkei steht die Behauptung eines Völkermords an den Armeniern übrigens bislang noch unter Strafe.

Die Wortschöpfung „Islamophobie“ stößt erwartungsgemäß bei denjenigen auf große Resonanz, die sich vor dem „Gespenst des nicht einverstandenen äußeren Beobachters“ (Peter Sloterdijk) fürchten.[25] Besonders problematisch wird es, wenn sich wissenschaftliche Institutionen an dieser Kritikabwehr beteiligen. In diesem Zusammenhang scheint es auch gewagt, eine inhaltliche und strukturelle Nähe zwischen Islamophobie und Antisemitismus zu behaupten, wie es etwa das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung getan hat. Der Leiter des Zentrums, Wolfgang Benz, zieht (ohne Namen zu nennen) Parallelen zwischen „Islamkritikern“ und den Antisemiten des 19. Jahrhunderts.[26] Auch hier werden Religionskritik und Ressentiments gegenüber allen Muslimen in einen Topf geworfen, womit auch die aufklärerische Islamkritik in die Nähe des Antisemitismus gerückt wäre. Gerade in der deutschen und österreichischen Debatte ist zu beobachten, dass mit der Gleichsetzung von Islamophobie und Antisemitismus versucht wird, Islamkritiker ins gesellschaftliche Aus zu stellen. Anders als im Antisemitismus, der Juden die Macht unterstellt, im Verborgenen die Geschicke der ganzen Welt zu lenken, und sie für alle Übel der Welt verantwortlich macht, ist ein ähnlich geschlossenes, verschwörungstheoretisches Weltbild nicht Bestandteil der aufklärerischen Islamkritik. Allenfalls lässt sich bei einigen einschlägigen Webseiten und wenigen Autoren, wie etwa Hans-Peter Raddatz oder Udo Ulfkotte, ein Hang zu verschwörungstheoretischen Konstruktionen beobachten, der jedoch nicht (anders als im antisemitischen Diskurs des 19. und frühen 20. Jahrhunderts) auf gesellschaftlichen Konsens bauen kann und bei seriösen Medien oder der aufklärerischen Islamkritik auf Ablehnung stößt. Der Bezug auf eine verborgene Lenkung der Welt durch Muslime fehlt aber selbst bei den genannten Autoren völlig; bisher ist niemand auf die Idee verfallen, Muslime für alle erdenklichen Probleme der Welt, zum Beispiel für die Krise der Weltwirtschaft, verantwortlich zu machen, was im antisemitischen Diskurs durchaus üblich ist.

Ein Problem der Vorurteilsforschung, wie sie etwa von der Gruppe um Wilhelm Heitmeyer betrieben wird, besteht darin, dass negative Aussagen über den Gegenstand der Forschung (in diesem Fall der Islam) prinzipiell als Vorurteil gewertet werden. Ein etwaiger realer Hintergrund des „Vorurteils“ findet hingegen keine Beachtung, was zwangsläufig zu einer verzerrten Analyse führen muss.[27] So stellen etwa Leipold und Kühnel fest, dass „die Wahrnehmung des Islam in Deutschland durch Berichte über Ehrenmorde, Mädchenbeschneidung, Zwangsehen, Terrorzellen und Hassprediger geprägt wird“ und sehen darin umstandslos ein Vorurteil.[28] Eine Studie, die sich mit der  Berichterstattung von ARD und ZDF beschäftigt, bescheinigt beiden Sendern, über den Islam negativer zu berichten als über andere Religionen und bewertet dieses Ergebnis als Ausdruck islamophober Vorurteile.[29] Diese Analysen blenden aus, dass derzeit im Namen keiner anderen Religion so viele und so schwere Gewalttaten verübt werden, wie im Namen des Islam, und dass Zwangsehen und Ehrenmorde in islamischen Ländern und Communities durchaus ein reales Problem darstellen und oft genug mit der Religion gerechtfertigt werden. Im Zeitalter globalisierter Medien tragen diese Nachrichten nicht zu einem positiven Bild der islamischen Welt bei. Derartige Nachrichten würden, beträfen sie eine andere Religion als den Islam, dieselben Folgen haben. So hat die Berichterstattung über Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen dem Ansehen der katholischen Kirche insgesamt geschadet. Die Tendenz zur Verallgemeinerung ist bedauerlich, und es ist wichtig, ihr entgegenzutreten, aber Kritik an Religionen oder negative Berichterstattung pauschal zum Vorurteil zu erklären, wird zumindest einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung über Vorurteile nicht gerecht.

Die westliche Gesellschaft hat eine lange Tradition der Religionskritik. Religionskritik ist einer der Grundpfeiler der Moderne. In den meisten Ländern der islamischen Welt werden Religionskritiker bis heute als verrückt, vom Satan verführt oder krank diffamiert. Die Geschichte zeigt, dass monotheistische Religionen durch ihr Selbstverständnis als Trägerinnen von Wahrheitsoffenbarungen stets geneigt waren, Kritik an ihren Lehren und an ihren Weltverbesserungsabsichten zu verhindern, beziehungsweise zu bestrafen. Das Christentum hat sich nach langen Kämpfen mit dem säkularen Staat arrangiert, die meisten christlichen Strömungen haben sich der eigenen Geschichte kritisch gestellt. Diesen Weg wird der Islam in Europa ebenfalls gehen müssen. Kritik in Diffamierung und Diskriminierung umzudeuten, ist eine Fortsetzung der Kritikverbote mit anderen Mitteln und führt in eine Tabukultur.

Das vielleicht gravierendste Problem des Begriffs Islamophobie ist die Verwechslung von Kritik am Islam mit einer Stigmatisierung und Diskriminierung der Gläubigen. Der Begriff „Muslimfeindlichkeit“, auf den sich die Arbeitsgruppe Präventionsarbeit mit Jugendlichen der Deutschen Islam Konferenz im Frühjahr 2011 zur Benennung des Phänomens geeinigt hat, scheint hingegen der geeignete Begriff, um Ressentiments gegenüber Menschen muslimischen Glaubens zu benennen.[30]

Die bewusste oder unbewusste Vermischung von Religionskritik und Ressentiment durch den Begriff Islamophobie verlagert Religionskritik von der intellektuellen Ebene auf die moralische; Kritik, Witze und Karikaturen werden einer Diffamierung gleichgesetzt.[31] Für ein aus der Psychologie entlehntes griffiges Schlagwort verzichtete man darauf, das zu untersuchende Phänomen konzeptionell abzugrenzen. Eine spezifische Feindschaft gegenüber Muslimen, wie sie beispielsweise von rechtspopulistischen Parteien und diversen Stammtisch-Foren im Internet betrieben wird, unterscheidet sich jedoch fundamental – sowohl in Form, als auch in Intention – von aufklärerischer Islamkritik. Während der muslimfeindliche Diskurs unmittelbar auf jeden einzelnen Muslim abzielt und sich jeder Integration in den Weg stellt, geht es letzterem um Religions- und Traditionskritik, die sowohl Partei für die Opfer bestimmter religiöser/kultureller Praktiken ergreift als auch für ein friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft eintritt. Muslimfeindschaft lässt sich an Pauschalisierungen erkennen: Gewalt gegen Frauen und Kinder, Zwangsheiraten oder gar islamistischer Terrorismus werden allen Muslimen unterstellt. Unter Rückgriff auf Koran und Hadithen wird versucht, negative Absichten von Muslimen zu belegen. So taucht in den einschlägigen Foren immer wieder der Vorwurf auf, Muslime würden „Taqiyya“ betreiben, was so viel heiße wie Verstellung und Lüge gegenüber Andersgläubigen. Diese Praxis sei Muslimen durch den Koran nicht nur erlaubt, sondern geradezu vorgeschrieben. Taqiyya ist ein ursprünglich im 9. und 10. Jahrhundert von schiitischen Geistlichen als Reaktion auf die massive Verfolgung durch den herrschenden sunnitischen Islam entwickeltes Konzept, das der Bewahrung des eigenen Glaubens dienen sollte. Ausgehend vom Koran (Sure 16, 106) war es Schiiten erlaubt, in Verfolgungssituationen, unter Zwang, beziehungsweise bei Gefahr für Leib und Leben, auf einzelne rituelle Pflichten zu verzichten und, wenn nötig, den eigenen Glauben zu verheimlichen, solange innerlich am „rechten Glauben“ festgehalten würde. Demgegenüber wird Taqiyya im muslimfeindlichen Diskurs als „natürliche“ Haltung aller Muslime gegenüber Andersgläubigen beschrieben. Damit werden alle hier lebenden Muslime als Lügner diffamiert und zu heimlichen Islamisten erklärt. Es ist relativ durchsichtig, dass eine solche Haltung jeder Integration von vornherein eine Absage erteilen will.

Die Schwäche der Diagnose „Islamophobie“ zeigt sich darin, den Unterschied zwischen Islamkritik und Muslimfeindschaft nicht wahrzunehmen oder als unerheblich zu betrachten, und damit zu einer Polarisierung in „Islamfeinde“ und „Islamfreunde“ beizutragen. Kritikerinnen und Kritiker wie etwa Necla Kelek, Hendryk M. Broder oder Heinz Buschkowsky laufen Gefahr, als islamophob denunziert und damit in die gleiche Ecke gestellt zu werden wie Rechtspopulisten und Ausländerfeinde. In der Diskussion nach dem Massaker des Rechtsradikalen Anders Behring Breivik auf der norwegischen Ferieninsel Utöya im Sommer 2011, versuchten einige Kommentatoren, auf der Suche nach Schuldigen reflexartig, Islamkritikern eine Mitschuld an dieser Tat unterzuschieben. Es ist jedoch – in den Worten des Philosophen und Religionswissenschaftlers Daniele Dell’Agli – „ein Unterschied ums Ganze, ob Rechtspopulisten den Islam bekämpfen, um eine davon gar nicht so verschiedene Version des christlichen Abendlandes zu reanimieren, oder ob der kritische Impuls von politisch liberalen, säkular-skeptischen Intellektuellen ausgeht, die jede Form religiöser oder sonst wie ideologischer Einmischung in Fragen des Lebensstils, der Weltanschauung, der pädagogischen und medizinischen Kultur und somit auch in Fragen der Ethik ablehnen.“[32] Vertreterinnen und Vertreter des Begriffs Islamophobie verharmlosen, ohne es zu beabsichtigen, Hasspropaganda und berauben sich der Möglichkeit, diese adäquat zu bekämpfen. Durch die Vermischung der Diskurse ist der Begriff selbst zu einem Kampfbegriff geworden, der einer offenen und kritischen Diskussion im Wege steht. Im wissenschaftlichen Diskurs sollte sich die Verwendung eines so nebulösen Begriffs wie Islamophobie ohnehin von selbst verbieten.

Passagen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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[2]http://web.archive.org/web/20080117103114/http://www.derislam.at/islam.php?name=Themen&pa=showpage&pid=60.

[5] Siehe die Debatte um Sven Kalisch: Ferda ATAMAN, Islamverbände beenden Zusammenarbeit mit einzigem Institut, in: Spiegel-online, 13.9.2008: www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,577774,00.html; oder die sogenannte Olig-Debatte um den frühen Islam in: Karl-Heinz OHLIG; Gerd-R. PUIN (Hg.), Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam, 3. Aufl. 2007.

[6] Markus GROSS, Buddhistische Einflüsse im frühen Islam?, in: Markus GROSS, Karl-Heinz OHLIG (Hg.), Schlaglichter. Die beiden ersten islamischen Jahrhunderte, Berlin 2008, 220-274.

[7] Chris ALLEN, Das erste Jahrzehnt der Islamophobie, in: John BUNZL, Farid HAFEZ (Hg.), Islamophobie in Österreich, Innsbruck-Wien-Bozen 2009, 25, 28 f.

[8] Islamophobie nach dem Runnymed Trust auf: www.islamophobia-watch.com/islamophobia-a-definition/.

[9] Egon FLAIG, Essay: Djihad und Dhimmitude. Warum der Scharia-Islam gegen die Menschenrechte steht, in: http://classic-web.archive.org/web/20080517034716/http://www.moritz-medien.de/75+M55418d298be.html.

[10] Muslime erklären dabei andere Muslime zu Ungläubigen und leiten daraus die Berechtigung zu deren Ermordung ab. Der Islamwissenschaftler Christian H. Meier spricht von regelrechten Takfir-Kriegen, abgeleitet von „takfir“ (zum Ungläubigen machen), Christian H. MEIER, Innerislamische Reformdebatte. Der Kampf um die Deutungshoheit über den Islam, in: http://de.qantara.de/Der-Kampf-um-Deutungshoheit-ueber-den-Islam/16008c16218i0p88/index.html.

[11] FLAIG, Djihad.

[12] Siehe: Gudrun KRÄMER, Kritik und Selbstkritik: Reformistisches Denken im Islam, in: Michael LÜDERS, Der Islam im Aufbruch? Perspektiven der arabischen Welt, München 1992, 212-214; Fuad KANDIL, Blockierte Kommunikation: Islam und Christentum. Zum Hintergrund aktueller Verständigungsprobleme, Berlin 2008, 38; Bernard LEWIS, Die Wut der Arabischen Welt. Warum der jahrhundertelange Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen weiter eskaliert, Frankfurt/Main 2004, 147 f.; eine Zusammenfassung islamischer Reformer des 19. Jahrhunderts von Nasr Hamid Abu ZAID findet sich unter: http://muslimische-stimmen.de/index.php?id=20&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=57.

[13] Zitiert nach: Bassam TIBI, Im Namen Gottes? Der Islam, die Menschenrechte und die kulturelle Moderne, in: LÜDERS, Islam, 156.

[14] Dan DINER, Versiegelte Zeit. Über den Stillstand der islamischen Welt, Berlin 2005, S. 11.

[15] Tahar ben JELLOUN, Einige bittere Bemerkungen über die arabische Welt, in: LÜDERS, Islam, 187, 191 f.

[16] Auf Deutsch bisher erschienen: Mohammed Abed Al-JABRI, Kritik der arabischen Vernunft. Die Einführung, Berlin 2009.

[17] KANDIL, Kommunikation, 38.

[18] NZZ, 11. Oktober 2003, „Das Projekt der Moderne im Islam“: www.nzz.ch/2003/10/11/li/article8SCG5.html.

[19] Jürgen LEIPOLD, Steffen KÜHNEL, Islamphobie. Sensible Aufmerksamkeit für spannungsreiche Anzeichen, in: Wilhelm HEITMEYER (Hg.), Deutsche Zustände. Folge 2. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2003, 100-119; die Definition zur Islamophobie findet sich unter:

http://web.archive.org/web/20070628155303/http://bundestag.de/dasparlament/2006/01-02/Beilage/001.html.

[20] LEIPOLD, KÜHNEL, Aufmerksamkeit, 101.

[22] Jürgen LEIPOLD, Steffen KÜHNEL, Islamophobie. Differenzierung tut not, in: Wilhelm HEITMEYER (Hg.), Deutsche Zustände. Folge 4, Frankfurt 2006, 137; Frank ASBROCK; Ulrich WAGNER; Oliver CHRIST, Diskriminierung. Folgen der Feindseligkeit, in: ebenda, 164.

[23]http://web.archive.org/web/20080117103114/http://www.derislam.at/islam.php?name=Themen&pa=showpage&pid=60.

[24] „Erdoğan wirft Franzosen Völkermord in Algerien vor“, in: Die Presse.com, 23. Dezember 2011: http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/719251/Erdogan- wirft Franzosen-Voelkermord-in-Algerien-vor.

[25] Peter SLOTERDIJK, Der mystische Imperativ. Bemerkungen zum Formwandel des Religiösen in der Neuzeit, in: Peter SLOTERDIJK, Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker, gesammelt von Martin Buber, München 1993, 11.

[26] Wolfgang BENZ, Hetzer mit Parallelen, in: Süddeutsche Zeitung v. 4.1.2010: www.sueddeutsche.de/politik/antisemiten-und-islamfeinde-hetzer-mit-parallelen-1.59486; siehe auch: Daniel BAX, Unter Hasspredigern, taz, 4. Februar 2010: www.taz.de/Streit-um-Islam/!47849/; http://zfa.kgw.tu-berlin.de/feindbild_konferenz.htm.

[27] Felix STRUENING, Vom Mythos der Islamophobie. Wie stehen die Deutschen wirklich zum Islam?, in: Hartmut KRAUSS (Hg.), Feindbild Islamkritik. Wenn die Grenzen zur Verzerrung und Diffamierung überschritten werden, Osnabrück 2010, 181 f.

[28] LEIPOLD; KÜHNEL, Differenzierung, 136.

[29] Kai HAFEZ, Carola RICHTER, Das Gewalt- und Konfliktbild des Islam bei ARD und ZDF. Eine Untersuchung öffentlich-rechtlicher Magazin- und Talksendungen, Universität Erfurt, Januar 2007, zitiert nach: Angelika KÖNIGSEDER, Feindbild Islam, in: Wolfgang BENZ (Hg.), Jahrbuch für Antisemitismusforschung 17, Berlin 2008, 41.

[30] DEUTSCHE ISLAMKONFERENZ, Zwischenbericht über die Arbeit der Arbeitsgruppe Präventionsarbeit mit Jugendlichen, Berlin 29. März 2011, 2-5: www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2011/zwischenbericht.html?nn=110428.

[31] Pascal BRUCKNER, Die Erfindung der Islamophobie, in: www.perlentaucher.de/artikel/6639.html.

[32] Daniele DELL’AGLI, In Hoc signo vinces!, in: www.perlentaucher.de/artikel/7012.html.

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