Der Zensor am Werk

Die Wiener Stadtzeitung FALTER berichtet in ihrer Ausgabe 1-3/15 vom 14. Januar 2015 ausführlich von den Pariser Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt. Insgesamt 7 Seiten widmet der FALTER dem Thema, vom Kommentar des Herausgebers Armin Thurnher bis zum Bericht über „Austro-Islamisten“. Nur eines fehlte gut sichtbar: Eine Karikatur von Charlie Hebdo. Dieses Fehlen begründete die Redaktion mehrmals – moralisch und mit deutlicher Distanz zu den blasphemischen „Kollegen“ von Charlie Hebdo.
Ein Leserbrief von Nina Scholz, abgedruckt in der aktuellen Ausgabe des FALTER (5/15)

So ähnlich sahen Seiten der "Arbeiterzeitung" im 1. Weltkrieg aus.

So ähnlich sahen Seiten der “Arbeiterzeitung” im 1. Weltkrieg aus.

Vor 100 Jahren erfand die Arbeiterzeitung eine geniale Form des Widerstands gegen die Kriegszensur: Beanstandete Artikel wurden entfernt, aber keineswegs durch genehmere ersetzt. Weiße Spalten und Flächen zeigten den Lesern stattdessen deutlich: Hier war der Zensor am Werk. Zu dieser Form hat nun auch der Falter gegriffen, um uns die Karikaturen von Charlie Hebdo offensiv nicht zu zeigen. Da es den Zensor schon lange nicht mehr gibt, handelt es sich wohl um den offensiven Umgang mit der Selbstzensur, auch wenn die Begründung etwas anderes nahelegen will. Der Falter, so heißt es, zeige die Karikaturen nicht, weil er sie auch ohne die Attentate nicht gezeigt hätte, weil sie nicht dem Stil des Falters entsprächen, weil sie religiöse Gefühle verletzten. „Den Propheten“ habe der Falter nie beleidigt, weil die Redaktion  – „anders als die getöteten Kollegen von Charlie Hebdo“ –

Der FALTER 2015

Der FALTER 2015

„Blasphemie nicht für ein taugliches Stilmittel“ halte. „Haben wir nie getan, warum sollten wir es jetzt tun?“, fragt Armin Thurnher. Nun, vielleicht, um den Lesern zu zeigen, wofür in Paris Menschen ermordet wurden?  Den Umgang damit zu einer Stilfrage zu erklären, die Entscheidung  moralisch zu rechtfertigen und damit die „Kollegen“ von Charlie Hebdo der Unmoral zu bezichtigen (denn sie haben den Propheten nach Ansicht des Falters ja beleidigt!), ist ziemlich erbärmlich. Zur eigenen (nachvollziehbaren) Angst zu stehen, wie es einige Karikaturisten getan haben oder ganz zu schweigen, wäre besser gewesen.
Charlie