Die Kreuzzüge

Eine Leseprobe aus unserem Buch: Heiko Heinisch; Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012. Das Kapitel “Die Kreuzzüge”. 
Der Krak des Chevaliers in Syrien, Foto von Bernard Gagnon, CC BY-SA 4.0.

In Diskussionen und Auseinandersetzungen rund um den Islam wird regelmäßig der Geist der Kreuzzüge beschworen. Ein 900 Jahre zurückliegendes Ereignis wird dazu benutzt, die Rolle des Opfers für die islamische Welt zu reklamieren und historisch zu belegen. Das ist nicht nur deshalb eine unlautere Vorgehensweise, weil es die dunklen Flecken und das Unrecht ausblendet, die islamische Expansionen und Eroberungen über viele Völker gebracht haben, sondern weil das einseitige Aufrechnen vergangener Schuld nicht der Lösung aktueller Probleme dient, sondern eher dazu angetan ist, moralischen Druck auf die Gegenseite auszuüben. Man stelle sich vor, Ungarn, Serbien oder Griechenland würden bei jeder Verhandlung mit der Türkei die Opferkarte ziehen und permanent auf die Eroberung und Annexion durch die Osmanen hinweisen – die im Übrigen noch nicht so lange zurückliegt wie die Kreuzzüge, und zum Teil wesentlich länger andauerte.

Das Verschweigen oder Verdrängen eigener Gräueltaten korrespondiert mit der Beschreibung der arabischen und osmanischen Eroberungen als glorreich und berechtigt. Diese Haltung findet ihren Niederschlag auch darin, dass Moscheen bis zum heutigen Tag nach osmanischen und arabischen Eroberern benannt werden, womit der Zusammenhang von Religion, Eroberung und Herrschaft im islamischen Denken dokumentiert wird.

Die modernen Geschichtswissenschaften haben neben den Ursachen, Voraussetzungen und Zielen der Kreuzzüge auch die Schandtaten, die die Quellen überliefern, untersucht. Die Pogrome gegen Judengemeinden auf den Routen der Kreuzfahrer sind von europäischen Historikern ebenso beschrieben worden, wie das Massaker bei der Eroberung Jerusalems. In der europäischen Öffentlichkeit prägen diese Aspekte den Charakter der Kreuzzüge, der geschichtliche Hintergrund hingegen ist auch im europäischen Diskurs jenseits der Mediävistik vom Mythos überformt worden.

Nach islamischer Lesart waren die Kreuzzüge die erste große Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam, mit ihnen habe die Feindschaft begonnen, die bis heute nachwirke. In einer Fernsehdokumentation über den (→)Karikaturenstreit führte Raed Hlayhel, jener dänische Imam, der für die Internationalisierung des Konflikts verantwortlich zeichnete, die dänischen Karikaturen auf einen Hass auf den Islam zurück, der die westlichen Gesellschaften seit den Kreuzzügen antreibe.[1]

Die Ansicht, die Kreuzzüge seien die erste Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam, wird vielfach auch von europäischen Journalisten, Politikern und Intellektuellen vertreten, im verzweifelten Bemühen, die Ursachen der heutigen Ablehnung des Westens durch viele Muslime zu verstehen. „Am 27. November 1095 hat Papst Urban II. den ersten Kreuzzug ausgerufen, nun wird auf den Tag genau 900 Jahre später eine neue, friedliche Ära euro-mediterraner Beziehungen aufgenommen“, proklamierte der ehemalige EU-Kommissar Manuel Martin 1995 bei der Eröffnung des Mittelmeergipfels in Barcelona.[2]

Die Kreuzzüge werden auf muslimischer Seite als ein Angriff auf den Islam in seiner Gesamtheit betrachtet. In seinem Buch Kreuzzug und Djihad spricht Bassam Tibi von zwei „miteinander wetteifernden Universalismen“[3] und unterstellt eine globale Strategie der Kreuzfahrer zur Welteroberung, ähnlich der der damaligen islamischen Eroberer. Tibi stellt die koloniale Expansion des Westens in eine direkte ideologische Verbindung und historische Kontinuität zu den Kreuzzügen und behauptet, die Kreuzzüge seien über 900 Jahre hinweg ein Dauerthema in der islamischen Welt gewesen.[4] Insbesondere die Eroberung Jerusalems, der drittheiligsten Stadt des Islam, hätte einen Schock bei den Muslimen ausgelöst, der bis heute anhalte. Insgesamt seien die Kreuzzüge eine unvergleichliche Katastrophe für den Islam gewesen.[5]

Was sagen die Quellen?

Die Kreuzzüge waren nicht die erste Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum

Selbst nach islamischer Geschichtsschreibung fand die erste kriegerische Auseinandersetzung bereits rund 450 Jahre vor dem Ersten Kreuzzug statt. Sie begann, als arabische Heere im Jahre 633 in Palästina und Syrien einfielen, ein Gebiet, das als christliches Kerngebiet zum Oströmischen Reich (Byzanz) gehörte. Dort war das Christentum einst entstanden, von dort hatte es sich ausgebreitet. Bereits drei Jahre nach der Eroberung Palästinas unterwarfen die Araber Damaskus, danach ging es Schlag auf Schlag: 638 Jerusalem und 642 Alexandria. Anfang des 8. Jahrhunderts landeten arabische Heere bereits in Spanien, was die erste feindliche Auseinandersetzung mit dem Westchristentum markiert. In der Folge stießen sie bis Südfrankreich vor, wo sie 732 von den Franken unter Karl Martell in der Schlacht bei Tours und Poitiers gestoppt werden konnten.[6]

Zu Beginn des 8. Jahrhunderts standen arabische Heere erstmals vor Konstantinopel. Es gelang ihnen zwar nicht, die Stadt einzunehmen, aber von diesem Zeitpunkt an sollten arabische Truppen im Jahresrhythmus in Anatolien einfallen, um zu plündern und Sklaven zu machen. Bis es zu den Kreuzzügen kommen sollte, war die städtische Struktur Anatoliens weitgehend zerstört und weite Gebiete des Landes verheert worden. Große Teile der Bevölkerung flüchteten sich in sicherere Gebiete des byzantinischen Reiches.[7]

Geraume Zeit vor der arabischen Expansion im 7. Jahrhundert hatten sich das sassanidische Persien und das Byzantinische Reich erbitterte Kriege geliefert, die beide Seiten derart geschwächt zurückließen, dass sie den arabischen Heeren wenig entgegensetzen konnten. 651 unterlag das Perserreich endgültig und wurde Teil des arabischen Imperiums. Das Byzantinische Reich hatte zu diesem Zeitpunkt etwa zwei Drittel seines Territoriums verloren.

Im 10. Jahrhundert konnte Byzanz einige Gebiete zurückerobern: 961 Kreta, 962-965 Kilikien, 969 Antiochia und Aleppo, 974 Homs und die palästinensische Küste, mit Ausnahme von Tripoli. Damaskus blieb in muslimischer Hand, wurde jedoch tributpflichtig. Anfang des 11. Jahrhunderts stand das nördliche Syrien unter christlicher Herrschaft, während das südliche Syrien und Palästina unter den Fatimiden islamisch blieben.[8] Unter dem fatimidischen Kalifen al-Hakim, einem religiösen Fanatiker, kam es zwischen 1004 und 1014 zu schweren Christen- und Judenverfolgungen. Kirchliches Eigentum wurde beschlagnahmt und beinahe alle Kirchen zerstört, darunter auch die Grabeskirche in Jerusalem. Für Christen und Juden wurde stigmatisierende Kleidung eingeführt. Bei all seinen Maßnahmen gegen Andersgläubige berief sich al-Hakim auf den von der islamischen Überlieferung tradierten „Vertrag von Umar“ (→Toleranz), benannt nach dem 2. Kalifen nach Mohammed, einem der „vier rechtgeleiteten Kalifen“. In das historische Gedächtnis der Ostkirche ging al-Hakim als neuer Nebukadnezar ein. Während seiner Herrschaft flüchteten wiederum zahlreiche Christen auf byzantinisch-christliches Gebiet.[9] Die von al-Hakim erlassenen Dekrete zeugen von dem Ziel, aus seinen Untertanen die ideale islamische Gemeinschaft (Umma) zu formen. Er setzte das Verbot von Alkohol und verschiedenen „unreinen“ Speisen durch, führte den Schleierzwang ein und verbannte Frauen vollständig aus dem öffentlichen Leben.[10] Nach zehn Jahren der Verfolgung wurde in Verhandlungen mit Byzanz die Kultfreiheit für Christen wieder hergestellt und vertraglich abgesichert. Zerstörte Kirchen durften wieder aufgebaut werden, auch die Grabeskirche, die jedoch bereits im Jahr 1055 erneut geplündert wurde.[11] Im Verlauf des 11. Jahrhunderts kamen in Europa zunehmend Überlegungen zu einer „bewaffneten Pilgerfahrt“ (so die zeitgenössische Bezeichnung der Kreuzzüge) auf.[12]

In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhundert verschlechterte sich die Lage für Byzanz erheblich. Türkische Reiterheere drangen immer weiter nach Anatolien vor und schlugen im Jahre 1071 unter der Führung des Seldschuken-Sultans Alp Arslan in der Schlacht bei Manzikert ein byzantinisches Heer vernichtend. 1077 fiel Nicäa (das heutige Iznik) und 15 Jahre später war beinahe ganz Anatolien in die Hände der muslimischen Eroberer gefallen; die Seldschuken standen nun am Bosporus. Byzanz war damit seines Kernlandes beraubt.

Für die mit der Ostkirche zerstrittene Westkirche waren diese Entwicklungen vor allem durch Behinderungen auf den Pilgerwegen zu den Heiligen Stätten wahrnehmbar. Christliche Wallfahrer wurden überfallen, ermordet oder versklavt, was die schon seit der Mitte des 4. Jahrhunderts nachgewiesenen Pilgerfahrten erheblich beeinträchtigte.[13]

Für Byzanz bedeutete der Verlust Anatoliens eine unmittelbare Bedrohung seiner Existenz. Kaiser Alexios I. stellte deshalb ein Hilfegesuch an den Papst in Rom, worin er ausdrücklich auf eine mögliche Befreiung Jerusalems von den Muslimen anspielte, im Wissen darum, dass, bei allen sonstigen Unterschieden und Konflikten, die heiligen Stätten auch Rom am Herzen lagen. Sein vordringliches Ziel war die Rückeroberung der gerade verlorenen Gebiete. Mit Sicherheit dachte er nicht an einen Kreuzzug – ein Begriff, der damals ohnehin noch unbekannt war – sondern vielmehr an Kontingente westlicher Söldner zur Verstärkung seines Heeres.[14] Papst Urban II. griff den Hilferuf der Byzantiner 1095 auf der Synode von Clermont auf. In glühenden Worten beschrieb er die Zerstörung und Schändung christlicher Kirchen und die Angriffe auf Christen, denen dringend Einhalt geboten werden müsse.[15] Das Konzil rief daraufhin alle Gläubigen zur Hilfe für die bedrängte Ostkirche auf, mit dem Hauptziel, Jerusalem und die heiligen Stätten zu befreien.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Beginn feindlicher Auseinandersetzungen zwischen Islam und Christentum Jahrhunderte vor dem Ersten Kreuzzug liegt. Diese Jahrhunderte waren geprägt von Angriffen und Eroberungen, die die christliche Welt zunehmend umgestalteten und zuletzt Byzanz an den Rand des Zusammenbruchs brachten. Der Versuch, den Beginn der Auseinandersetzung auf die Kreuzzüge zu verlagern, trägt den historischen Fakten nicht Rechnung und schafft eine Perspektive, in der sich Muslime als ewige Opfer europäisch-christlicher Gewalt und westlicher imperialistischer Gelüste präsentieren. Auf dieser Perspektive basiert die Konstruktion eines 900jährigen westlichen Imperialismus, von den Kreuzzügen bis zum heutigen Tag. „Historisch zutreffender wäre wohl die Beschreibung der Kreuzzüge als einer langwierigen, sehr begrenzten und schließlich erfolglosen Antwort auf den Dschihad. Die Kreuzzüge endeten mit der Niederlage der Christen und gerieten in den islamischen Ländern schon bald in Vergessenheit.“[16]

Die Kreuzzüge waren kein Angriff zur Auslöschung des Islam

Ein Kreuzzug wurde immer durch einen Aufruf des Papstes ausgelöst und sollte Kriegszug und religiöse Bußübung zugleich sein. Die Teilnahme verhieß einen Ablass der Sündenstrafen oder sogar die völlige Vergebung der Sünden.[17] Die einzelnen Teilnehmer, und allen voran die Anführer der Kreuzzüge, verfolgten natürlich immer auch ganz persönliche Interessen, wie zum Beispiel die Inbesitznahme eigener Fürstentümer. Sie dachten weniger daran, sich strikt an die Vorgaben des Papstes zu halten, und noch weniger waren sie daran interessiert, für den Kaiser von Byzanz zu kämpfen, der seit dem Schisma von 1054 für einen Kirchenspalter gehalten wurde. So konnten beispielsweise die Kreuzfahrer des Vierten Kreuzzuges leicht für die Ziele Venedigs gewonnen werden. Unglückliche Umstände und Zufälle ermöglichten es dem mit Byzanz zerstrittenen Venedig, diesen Kreuzzug nach Konstantinopel umzulenken und die Stadt 1204 zu erobern. Die Kreuzfahrer errichteten ein lateinisches Kaiserreich; erst 1261 gelang es den Byzantinern, die Stadt zurückzuerobern.[18] Die Eroberung und Plünderung schwächte die Stadt so nachhaltig, dass sie sich nie wieder ganz erholte.

Die erfolgreichen Eroberungen der Osmanen im 15. und vor allem im 16. Jahrhundert – sie hatten Ungarn erobert, rückten weiter Richtung Wien vor und griffen gleichzeitig die italienische Küste an –  ließen in Italien und im Deutschen Kaiserreich den Gedanken an einen Kreuzzug wieder wach werden. Päpste hatten schon seit dem Ende des 14. Jahrhunderts mehr oder weniger erfolglos zu Kreuzzügen gegen die Osmanen aufgerufen. Es wundert nicht, dass nun, im 16. Jahrhundert, die Kreuzzüge des 11. und 12. Jahrhunderts zum Vorbild gemacht und idealisiert werden konnten. Tasso[19] schrieb in dieser Zeit sein berühmtes Gedicht Das befreite Jerusalem (La Gerusalemme Liberata), das später großen Einfluss auf die europäische Literatur haben und durch Goethe Eingang in die deutsche Klassik und Romantik finden sollte. Goethe würdigt in den Anmerkungen zum West-östlichen Diwan die Kreuzfahrer, die durch ihren „Widerstreit gegen östliches Zudringen“ zur „Beschützung und Erhaltung der gebildeten europäischen Zustände“ beigetragen hätten. Zugleich jedoch kritisiert er, ganz im Sinne einer aufkommenden modernen Geschichtswissenschaft, die Tatsache, dass die christlichen zeitgenössischen Quellen über die Kreuzzüge den Leser durch die „Einseitigkeit der christlich-feindlichen Ansicht“ über den „eigentlichsten Zustand des Orients“ verwirrten, und weist zur Erweiterung der Perspektive auf orientalische Quellen hin.[20] Johann Gottfried Herder zerpflückt die romantisierenden Ansichten über die Kreuzzüge, und stellt die ihnen zugeschriebene Rolle beim Schutz Europas vor türkischen Eroberungen in Frage. Durch ihr Verhalten gegenüber dem griechischen Kaiser, dem sie die Macht entrissen (Vierter Kreuzzug), hätten die Kreuzritter vielmehr dazu beigetragen, dass die Türken später ein viel leichteres Spiel mit Konstantinopel gehabt hätten. Weder die Künste, noch die Wissenschaften seien durch die Kreuzfahrer und ihren Kontakt mit dem Morgenland befördert worden, im Ergebnis hätten sie das christliche Europa nur unsäglich viel Geld und Menschen gekostet.[21] Friedrich Schlegel bedauert, im Gegensatz zu Herder, dass die Kreuzritter das griechische Kaisertum nicht schon früher beendet hatten, und sieht in den Kreuzzügen und der kurzen Dynastie der Lateiner den hellsten Punkt und das einzig Bedeutende in dieser, wie er schreibt, „langweiligen Sterbensgeschichte“ des byzantinischen Reiches.[22] Man erkennt in dieser Parteilichkeit Schlegels religiöse Prämissen, konvertierte er doch in dieser Zeit gemeinsam mit seiner Frau zum Katholizismus.

Diesen ersten Ansätzen zu einer „Geschichte der Kreuzzüge“ folgte im 19. Jahrhundert eine Generation von Historikern, deren Sicht weit weniger kritisch war. Im Bunde mit Schriftstellern und bildenden Künstlern instrumentalisierten sie die Kreuzzüge nun für europäische Kolonialinteressen. Heinrich von Sybel und andere sahen in den Kreuzzügen eine Etappe „auf dem von den Europäern mit den Kriegen der Griechen gegen die Perser eingeschlagenen Weg zur Weltherrschaft“, die sie für immer in den Händen europäischer Großmächte zu sehen glaubten.[23] Diese Sicht sollte die intellektuellen Auseinandersetzungen in der islamischen Welt, vornehmlich in den Kolonien, beeinflussen. Die islamische Interpretation, die Kreuzzüge seien ein Projekt zur Auslöschung des Islam auf dem Weg zur christlichen Weltherrschaft gewesen, beruht auf den Anleihen, die muslimische Intellektuelle bei diesen europäischen Historikern genommen haben. Die europäische Sicht wurde für arabische Intellektuelle zur Inspirationsquelle eigener Geschichtsschreibung, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Die Funktionalisierung der Kreuzzüge im europäischen 19. Jahrhundert wurde von nun an, abseits der Faktenlage, als Beweis für die jahrhundertelange Unterdrückung durch einen immerwährenden Kreuzzug übernommen. In Abgrenzung zur glorifizierenden Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wurden die Kreuzzüge seit den 1960er Jahren auch von vielen europäischen Historikern als Verbrechen beschrieben.[24] Alle diese Interpretationen werden dem historischen Geschehen nicht gerecht, sondern dramatisieren für die jeweils eigenen Zwecke und machen die Kreuzzüge letztlich zum Mythos.

Wenn von Kreuzzügen die Rede ist, wird meist nur an die Züge ins Heilige Land gedacht. Aber auch in den Jahren davor und lange danach gab es zahlreiche Kriegszüge, zu denen der Papst aufgerufen hatte und die daher als Kreuzzüge gelten. Bereits 1064 hatte ein Kreuzzug zur Rückeroberung Spaniens stattgefunden, der Barbastro Krieg.[25] Auch die Rückeroberung Siziliens 1063 ist als Kreuzzug zu werten. Es gab ferner die diversen Kreuzzüge gegen christliche Häretiker, wie den gegen die Albigenser in Südfrankreich 1208, die Kreuzzüge zur Christianisierung angrenzender „heidnischer“ Gebiete, wie den so genannten Wendenkreuzzug von 1147 gegen die „Elbslawen“ im Gebiet zwischen Oder, Elbe und Trave oder die in die baltischen Staaten. Ab Ende des 14. Jahrhunderts richteten sich Kreuzzugsaufrufe des Papstes gegen das weitere Vordringen der Osmanen nach Europa. Das Heer, das unter Johann Hunyadi 1456 die Osmanen vor Belgrad schlug und zum Rückzug zwang, wird ebenso als Kreuzfahrerheer betrachtet, wie das Entsatzheer für Wien 1683.[26]

Der in die Literatur als Erster Kreuzzug[27] eingegangene Zug eroberte zunächst 1097 Nicäa für den Kaiser von Byzanz zurück und bewegte sich dann Richtung Syrien und Palästina. Der Durchzug der Kreuzritter durch Anatolien lieferte dem Kaiser die nötige Deckung, um Westanatolien zurück zu erobern. In Armenien wurden die Kreuzfahrer als Befreier von der Türkenherrschaft gefeiert.[28] 1098 eroberten sie Edessa, das in der christlich-orientalischen Hagiographie der Syro-Aramäer und der Armenier den gleichen heilsgeschichtlichen Rang einnahm wie Jerusalem und dessen Befreiung daher große Begeisterung hervorrief,[29] wenngleich die Kreuzritter sich später durch ihr Auftreten und ihre strategischen Fehler bei der Kriegsführung scharfe Kritik zuziehen sollten.[30] Im selben Jahr eroberten die Kreuzfahrer Antiochia, das erst knapp 15 Jahre zuvor von den muslimischen Seldschuken erobert worden war, 1099 Bethlehem und Jerusalem. Sie errichteten drei Fürstentümer sowie das Königreich Jerusalem. Diese Kreuzfahrerstaaten existierten von 1097 bis zur Eroberung Akkos durch die Mamluken 1291 knapp zweihundert Jahre lang und beherrschten zur Zeit ihrer größten Ausdehnung ein Gebiet vom Golf von Alexandretta bis zum Golf von Aqaba am Roten Meer, 800 km lang und an der breitesten Stelle etwa 200 km breit[31] – also etwa so groß wie das heutige Österreich, ein, im Vergleich zu den islamischen Eroberungen, winziges Gebiet. Eine Gleichsetzung von Kreuzzug und islamischem Dschihad, wie sie gelegentlich vorgenommen wird,[32] scheint, wegen der Unterschiede in Charakter und Ausmaß, nicht überzeugend. Der (→)Dschihad war als offensiver Krieg zur Unterwerfung nicht-islamischer Gebiete mit universalistischem Anspruch konzipiert, sein Ziel war also unbegrenzt. Dagegen war der Aufruf zum Kreuzzug stets mit klar umrissenen politischen Zielen verbunden, wie der Vernichtung von Häretikern oder der Hilfe für bedrängte Christen. In anderen Fällen gab es geographische Ziele, wie die Rückeroberung der Heiligen Stätten Palästinas oder verlorener byzantinischer Gebiete. Allgemein gehaltene, ein universelles Ziel verfolgende Aufrufe, wie etwa die Vernichtung des Islam, hat es nicht gegeben. Eine solche Absicht wäre angesichts der Kräfteverhältnisse auch völlig illusorisch gewesen und lag außerhalb jeder Vorstellungskraft. Sowohl der Papst, als auch der byzantinische Kaiser, waren sich der Größe, Macht und grundsätzlichen Überlegenheit der islamischen Welt durchaus bewusst.

Nach der Niederlage der Kreuzfahrer im Heiligen Land war Europa für weitere 400 Jahre militärisch in der Defensive, während eine neue Ära islamischer Eroberungen in Gestalt der Osmanen anbrach.

Kreuzfahrer und muslimische Krieger waren sich in Härte und Brutalität ebenbürtig

Von muslimischer Seite wird der friedlichen Eroberung Jerusalems durch Saladin (Salah ad-Din) im Jahre 1187 in der Regel die Brutalität bei der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer gegenübergestellt.[33] Gängige Kriegspraxis dieser Zeit war – sollten Städte sich nicht freiwillig ergeben – diese den Soldaten nach der Erstürmung drei Tage zur Plünderung freizugeben. In der Regel führte diese Praxis zu einem Massaker an der Bevölkerung, etwaige Überlebende wurden in die Sklaverei geführt. Im Falle einer Kapitulation sollte die Bevölkerung geschont werden. Nach einmonatiger Belagerung waren die Verteidiger Jerusalems an den Rand ihrer Kräfte gelangt, die Erstürmung der Stadt durch Saladins Truppen stand unmittelbar bevor. Mit der Drohung, sich lieber gegenseitig zu töten, als in die muslimische Sklaverei zu gehen, und im Fall der gewaltsamen Erstürmung der Stadt die Al-Aksa-Moschee einzuäschern, alle Reichtümer zu vernichten und alles Vieh zu töten, gelang es, Saladin zu einer Übergabevereinbarung zu bewegen. Die Chroniken berichten von langen, zähen Verhandlungen und divergieren in der Schilderung der konkreten Vereinbarungen. Gesichert ist, dass Saladin denjenigen Frauen, Männern und Kindern freien Abzug zusagte, die ein festgelegtes Lösegeld zahlen konnten. Alle anderen sollten in die Sklaverei geführt werden. Christlich-orientalische Chroniken beklagen zum einen das Schicksal der orientalischen Christen, von denen viele, im Gegensatz zu den „Franken“, nicht über das nötige Geld verfügten, sich freizukaufen, und zum anderen die Plünderung und Profanisierung von Kirchen sowie die Einschränkung der Kultfreiheit.[34] Islamische Quellen stilisieren Saladin zum moralisch überlegenen Helden, der Wort hielt, alle Bewohner verschonte und die Christen Jerusalems in Frieden leben ließ.[35] Christliche Quellen berichten weniger schmeichelhaft, außer, wenn sie nachträglich für ein nun muslimisches Publikum überarbeitet wurden.

Ein Beispiel für eine solche Überarbeitung ist die Abhandlung des syrischen Christen Gregorius Barhebräus aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Die aus seiner Feder stammende Beschreibung Saladins und der Eroberung Jerusalems beruht auf der früheren Chronik des Patriarchen Michael (1126-1199). Im Gegensatz zu dieser (und einer eigenen früheren Chronik) rückt Barhebräus Saladin nun in arabischer Sprache in ein weitaus günstigeres Licht, vermeidet bewusst Negatives, hält sich mit Polemik gegen Mohammed zurück und bemüht sich, die religiösen Gefühle seiner muslimischen Herren und der Leser, für die er diese neue Chronik verfasst, nicht zu verletzen.[36]

Die idealisierte Darstellung Saladins als Ritter ohne Fehl und Tadel korrespondiert in keiner Weise mit anderen, von Saladin bekannten Handlungen; was jedoch nicht ausschließt, dass er sich bei der Übergabe Jerusalems an die Vereinbarungen gehalten hat. Einzelne humane Gesten können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Saladin ein sunnitischer Glaubensfanatiker war, der neben der Auslöschung des orientalischen Christentums, einschließlich der Franken im Orient, auch die Vernichtung der ihm als Häretiker verhassten Schiiten zum Ziel hatte.[37]

Nach der Schlacht bei Hattin, die der Eroberung Jerusalems vorausging und in einer vernichtenden Niederlage der christlichen Ritter endete, ließ Saladin alle Gefangenen hinrichten, auch die schon länger in Damaszener Gefängnissen einsitzenden Ritter. Und so, wie die Kreuzfahrerheere unterwegs gern plünderten und mordeten, hatten auch Saladins Truppen auf dem Weg nach Jerusalem Dörfer der Umgebung zerstört und die Bewohner getötet.[38] Schon beim Angriff auf Gaza im Jahre 1170, das Saladin mit Ausnahme der Zitadelle erobern konnte, waren alle Bewohner niedergemetzelt worden. Letztlich verhielt sich Saladin genauso, wie sich Heerführer beider Seiten gewöhnlich verhielten.

Im Jahre 1144/46 eroberten die Zengiden die Stadt Edessa und versetzten damit bereits nach 46 Jahren dem ersten Kreuzfahrerstaat den Todesstoß. Die überwiegende Zahl der Einwohner wurde getötet.[39] Das gleiche Schicksal erlitten die Bewohner Antiochias 1268,[40] Tripolis 1289 und Akkos 1291.[41] In einem Brief an den christlichen Herrscher von Tripoli, Bohemund VI., rühmt sich der Mamluken-Sultan Baibars – gleichsam als Warnung – der Brutalitäten, mit denen seine Truppen Antiochia eingenommen hatten:

Du sollst an unsere letzte Unternehmung gegen Antiochia denken […] wie die Kirchen vom Erdboden weggefegt wurden, […] wie sich am Gestade des Meeres Leichenhaufen türmten, die Halbinseln glichen, wie die Männer getötet, die Kinder in die Sklaverei geführt […] wurden. […], wie diejenigen unserer Soldaten, die ohne Familie waren, plötzlich Frauen und Kinder hatten […]. Wenn Du die niedergerissenen Kirchen und die umgestürzten Kreuze gesehen hättest, die Blätter der heiligen Evangelien zerstreut, die Gräber der Patriarchen unter die Füße getreten! […] und den Mönch, den Diakon, den Patriarchen abgeschlachtet![42]

Knappe 200 Jahre später standen die Truppen des Sultans Mehmet II. vor Konstantinopel, dessen Bewohner bis zum Schluss erbitterten Widerstand leisteten. Nach der Einnahme der Stadt im Mai 1453 kam es zu einem Gemetzel, dass den Gepflogenheiten der christlichen und muslimischen Krieger der vergangenen Jahrhunderte in nichts nachstand: Freigabe der Stadt zur dreitägigen Plünderung, was Mord und Vergewaltigung und die anschließende Versklavung vieler Überlebender nach sich zog. Die Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer als singuläres, an Brutalität nicht zu überbietendes Ereignis darzustellen, ist historisch gesehen Unsinn.[43] Sowohl die muslimischen als auch die christlichen Zeitgenossen rühmen sich ohne Skrupel ihrer Gräueltaten.[44] Die Kriegsparteien schenkten einander – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nichts.

Weder die Kreuzzüge, noch die Eroberung Jerusalems stellen für die Zeitgenossen eine „unvergleichliche Katastrophe“ dar

Als das Heer des Ersten Kreuzzugs auf seinem Weg ins Heilige Land in das türkisch besetzte Anatolien eindrang, sah Sultan Kilij Arslan darin nur einen weiteren Versuch der Byzantiner, verlorene Gebiete mit Söldnertruppen zurückzuerobern. Keine der islamischen Quellen sieht darin mehr als die üblichen byzantinischen Rückeroberungsversuche. Und so hießen die christlichen Truppen bei den arabischen Zeitgenossen denn auch nicht Kreuzfahrer, sondern schlicht „Ifranj“, Franken, eine Bezeichnung, die sich seit der ersten Niederlage der Araber gegen das eingangs erwähnte fränkisches Heer unter Karl Martell für alle aus Europa kommenden Soldaten erhalten hat. Die arabische Bezeichnung „Sali-biyyeen“ („Die mit dem Kreuz“) hingegen ist modern.[45] Als Edessa und Antiochia von den Kreuzfahrern erobert worden waren, schickten die muslimischen Fatimiden aus Ägypten ein Bündnisangebot, um gemeinsam gegen die Türken vorzugehen, mit denen man verfeindet war. Sie verkannten schlicht die religiöse Mission der Kreuzfahrer und übersahen daher, dass deren nächstes Ziel das fatimidische Jerusalem sein würde.[46] Nichtsdestotrotz blühte das fatimidische Ägypten zur Zeit der Kreuzfahrerstaaten auf, gerade weil diese einen Puffer zwischen den schiitischen Fatimiden und den mit ihnen verfeindeten sunnitischen Herrschern im Norden Palästinas bildeten.

Ein geeintes islamisches Reich existierte zu dieser Zeit schon lange nicht mehr. In Ägypten herrschten die Fatimiden, in Bagdad saß ein sunnitisch abbasidischer Kalif ohne Macht unter seldschukischer Führung, und dazwischen befanden sich viele kleine, teilweise unabhängige islamische Fürstentümer, die sich nicht selten gegenseitig bekriegten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es anfangs keine Kraft gab, die den Kreuzfahrern hätte entgegentreten können. Als die Nachricht vom Fall Jerusalems in Bagdad eintraf, löste sie keinerlei Reaktionen aus, denn dort war man gerade mit Wichtigerem beschäftigt. Der seldschukische Sultan Barkiyaruq führte seit zweieinhalb Jahren Krieg gegen seinen Bruder. Bagdad wechselte in dieser kurzen Zeit acht Mal den Besitzer.[47]

Wir haben keinen Hinweis darauf, dass die Zeitgenossen die Etablierung der Kreuzfahrerstaaten als eine über den Islam hereinbrechende Katastrophe gesehen haben.[48] Binnen kürzester Zeit wurden die neuen Staaten als zusätzliche Faktoren in die Intrigen und das Machtgefüge der Region integriert, welches gekennzeichnet war durch wechselseitige Beziehungen, Anfeindungen und Verbrüderungen.

Im Jahr 1100 versuchte Sultan Doubak von Damaskus das christliche Heer Balduins in der Nähe von Beirut in einen Hinterhalt zu locken und zu vernichten. Da der muslimische Stadthalter von Tripoli, Fakhr el-Moulk, an einem Machtzuwachs Doubaks kein Interesse hatte, schickte er Boten mit reichen Geschenken und Informationen über den Hinterhalt an Balduin. Die Pläne Doubaks scheiterten, er musste unverrichteter Dinge wieder abziehen.[49]

An folgenden Beispielen lässt sich deutlich zeigen, wie schnell die Kreuzfahrerstaaten in die regionalen Konflikte einbezogen wurden. 1108 standen sich in der Nähe der Festung Tell Bader zwei große Heere gegenüber: Auf der einen Seite Tankred von Antiochia mit seinen christlichen Kämpfern und der Redwan von Aleppo mit seinem muslimischen Heer, auf der anderen Seite der Emir von Mossul gemeinsam mit Balduin von Edessa und dessen Vetter Joulin mit ihren jeweiligen christlichen Heeren.[50] Ohne näher auf die Vorgeschichte oder die Schlacht einzugehen, sei gesagt, dass solche islamisch-christlichen Bündnisse keine Seltenheit waren. Als 1115 der Seldschuken-Sultan Mohammed I. mit einem riesigen Heer vor Syrien auftauchte, erlebte er eine böse Überraschung. Die verschiedenen syrischen Herrscher, Christen wie Muslime, hatten sich, da sie sich gleichermaßen von ihm bedroht fühlten, zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Mohammed I. sah sich einem großen, religiös-gemischten Heer gegenüber und musste sich zurückziehen.[51]

Im Jahr 1140 stellte sich das muslimische Damaskus unter den Schutz des christlichen Königreiches von Jerusalem, weil man fürchtete, den Machtgelüsten Sultan Zengis allein nicht standhalten zu können.[52] Die Verwirrung, die sich an dieser Stelle möglicherweise beim Leser oder bei der Leserin einstellt, mag der Verwirrung zeitgenössischer Beobachter entsprechen. Man konnte nie so genau wissen, wer gerade auf welcher Seite stand. Es gab wechselseitige Allianzen, bei denen die jeweiligen Eigeninteressen im Vordergrund standen. Auf beiden Seiten wurde, wenn es darauf ankam, Herrschaftspolitik jenseits religiöser Ressentiments betrieben.

Neben diversen Fehden und Kriegen gab es durchaus auch friedliches Zusammenleben. Im nördlichen Transjordanien und in der libanesischen Beqaa-Ebene beispielsweise entstand ein landwirtschaftlich genutztes Niemandsland, dessen Einkünfte sich das muslimische Damaskus und die Kreuzfahrer zu gleichen Teilen aneigneten. Beide Seiten hatten vereinbart, die Kornkammer und die ausgedehnten Weiden des Golan gemeinsam zu nutzen. Zu diesem Zweck wurden zwischen 1108 und 1110 eine Reihe von Verträgen abgeschlossen.[53]

Der arabisch-andalusische Reisende Ibn Dschubair schildert uns die Erlebnisse auf seiner Orientreise im Jahre 1184. Mit einiger Verwunderung verweist er auf das friedliche Zusammenleben beider Seiten und berichtet, dass Karawanen zwischen Kairo und Damaskus ungestört verkehren könnten. Muslime zahlten Zoll, wenn sie christliches Gebiet passierten, und umgedreht. Noch stärker wundert ihn die Behandlung muslimischer Bauern auf christlichem Gebiet:

Ihre Wohnungen gehören ihnen, und man hat ihnen all ihre Habe gelassen. Alle Gebiete, die in Syrien von den Franken beherrscht werden, unterliegen den gleichen Bestimmungen: Grundbesitz, Dörfer und Bauernhöfe sind in den Händen der Muslims geblieben. Es ist klar, dass sich Zweifel in den Herzen dieser Menschen breitmachen, wenn sie ihr eigenes Schicksal mit dem ihrer Brüder in muslimischem Gebiet vergleichen, denn letztere leiden unter der Ungerechtigkeit ihrer Glaubensgenossen, während die Franken gerecht verfahren.[54]

Die Kreuzfahrerstaaten waren auf die eingesessenen Bauern angewiesen und brachten ihre europäisch geprägten Rechtsvorstellungen mit, welche den Bauern einen besseren Status einräumten, als dies zur selben Zeit im Orient sowohl unter christlich-byzantinischer, als auch unter muslimischer Herrschaft der Fall war.

Als abschließendes Beispiel christlich-muslimischer Kontakte und als Ironie der Geschichte der Kreuzzüge sei noch erwähnt, dass viele fränkische Ritter – nach der endgültigen Niederlage der Kreuzfahrerstaaten am Ende des 13. Jahrhunderts ihrer Existenzgrundlagen beraubt – sich als Söldner muslimischer Herrscher verdingten, wo sie wegen ihrer Tapferkeit geschätzt wurden.[55]

Jerusalem gilt heute als drittheiligste Stadt des Islam nach Mekka und Medina. Das war nicht immer so. Im 9. Jahrhundert lehnten es islamische Gelehrte wie der berühmte Historiker at-Tabari (839-923) ab, Jerusalem als heilige Stadt anzuerkennen, da sie darin einen judaisierenden Irrtum zu erkennen glaubten. Hans Halm, Professor für Islamkunde in Tübingen, vermutet, dass die Muslime erstmalig durch die Kreuzzüge die enorme Bedeutung der Stadt für die Christen erkannten und erst der Verlust der Stadt zur Relevanz Jerusalems für den Islam geführt hat.[56] Die Eroberung durch die Kreuzritter im Jahre 1099 stieß jedenfalls in der damaligen islamischen Welt auf wenig Interesse,[57] denn Jerusalem war zu dieser Zeit nur eine drittklassige Provinzstadt. Die großen Zentren der islamischen Welt waren Kairo, Damaskus, Bagdad, Isfahan und Cordoba.[58] Zwar versuchte der Theologe und Rechtsgelehrte as-Sulami, unmittelbar nach der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzritter an das Gebot des Dschihad gegen die „Ungläubigen“ zu erinnern und alle Muslime bis hin zum Kalifen dazu aufzurufen, aber er stieß auf keinerlei Resonanz.[59] Erst Sultan Nureddin (Nur ad-Din), der Sohn des Begründers der Dynastie der Zengiden, der von 1146-1174 in Syrien regierte, zeigte Interesse an der Aufwertung Jerusalems. Er schlug 1149 ein Kreuzfahrerheer bei Antiochia vernichtend, und begründete mit diesem Sieg seine Stellung als Vorkämpfer des Islam, der in einer historischen Mission die miteinander verfeindeten islamischen Kräfte gegen die Franken einen werde.[60] In Jerusalem, der heiligsten Stadt des Juden- und Christentums, fand er ein Symbol, das er für den Islam, vor allem aber für seine eigenen machtpolitischen Ansprüche auf die gesamte Region, zu instrumentalisieren wusste. Während seiner langen Regentschaft veranlasste er Rechtsgelehrte, Abhandlungen über Jerusalem, seine Schönheit und seine Bedeutung zu verfassen. Diese Schriften wurden in Schulen und Moscheen gelehrt und öffentlich verlesen.[61] Eines der ältesten überlieferten Werke, das die Vorzüge Jerusalems besingt, datiert aus dieser Zeit.[62] Grundlage dieser Legendenbildung war die im Koran in Sure 17 beschriebene „nächtliche Reise“ Mohammeds „nach der fernen Kultstätte“ (Sure 17,1). Diese Stätte wurde später als Jerusalem (arabisch: al-Quds = die Heilige) gedeutet, von hier aus sei Mohammed mit seinem wundersamen Reittier Buraq in den Himmel aufgestiegen, wobei Buraq einen Hufabdruck hinterlassen habe.

Obwohl es Nureddin nicht mehr gelang, Jerusalem zu erobern, kann er als der Wegbereiter des Mythos von der heiligen Stadt al-Quds gesehen werden. Die von Nureddin angestoßene Propaganda sollte unter Saladin, der Jerusalem, wie bereits erwähnt, im Jahre 1187 eroberte, ihren Höhepunkt erreichen. Mit Saladin hatte der Mythos jetzt auch seinen Helden. Es entstand eine Art Dschihad-Propagandaliteratur, in der zum Kampf gegen Franken und Schiiten aufgerufen wurde. Diese „Kursänderung“ wurde auf christlicher Seite aufmerksam registriert. Alle Herrscher, die sich den Beinamen ad-Din (= des Glaubens) gaben, wie es die Zengiden taten, galten als besonders fanatische und bigotte Muslime.[63] So bedeutet Nur ad-Din (Nureddin) „Licht des Glaubens“ und Salah ad-Din (Saladin) so viel wie „Stifter des Glaubens“.[64] Saladins Ruhm in der sunnitisch-islamischen Welt gründet vor allem darauf, dass ihm die Einigung der Muslime, die Restauration des sunnitischen Islam und der Sieg über die Schiiten gelangen.[65] Nach seinem Tod jedoch ebbte das Interesse am Kampf gegen die Kreuzfahrer schnell wieder ab, seine Nachfolger verloren sich erneut in internen Kämpfen. Der berühmte arabische Historiker Ibn al-Athir, der die Eroberung Jerusalems miterlebt hatte, klagt nach Saladins Tod: „Unter den muslimischen Herrschern sehen wir nicht einen einzigen, der Dschihad führen will. Jeder widmet sich nur seinen Vergnügen und tut seinen Untertanen Unrecht.“[66]

Bereits 42 Jahre nach der Eroberung Jerusalems durch Saladin übergab sein Neffe, Sultan al-Kamel, die Stadt an König Friedrich II., mit dem er schon lange in freundschaftlichem Briefkontakt gestanden hatte. Der Sultan erhoffte sich, durch ein wieder erstarktes christliches Königreich Jerusalem einen Pufferstaat zu schaffen, zwischen dem von ihm regierten Ägypten und dem Gebiet seines mit ihm verfeindeten Bruders al-Moazzam.[67] Letztlich scheint sich die religiöse Aufwertung Jerusalems zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfestigt zu haben und die Bedeutung der Stadt für die nachfolgenden muslimischen Herrscher nicht allzu groß gewesen zu sein.

Die Zengiden-Herrscher, allen voran Nureddin und Saladin, hatten große Anstrengungen unternommen, mittels Dschihad-Propaganda ihre Macht auszudehnen und ihre Vision eines im Kampf gegen die „Ungläubigen“ geeinten Islam zu verwirklichen. In den Zentren der islamischen Welt wurden diese Anstrengungen weder begriffen noch unterstützt. Saladins Ansuchen um militärische Unterstützung in Bagdad, Marokko und Andalusien blieben unbeantwortet.[68] Für die nächsten Jahrhunderte sollte Saladin in der islamischen Welt in Vergessenheit geraten, aus der er erst im 19. Jahrhundert durch die europäische Geschichtsschreibung wieder hervorgeholt wurde. Sie schuf einen Mythos, der in der Folge von muslimischen Historikern aufgegriffen wurde.[69] Seit der Gründung Israels ist die Figur Saladins die bevorzugte Inspirationsquelle diverser arabischer Führer,[70] die sich gerne in seiner Nachfolge sehen, wenn sie zur „Befreiung Jerusalems von den Juden“ aufrufen.

Für die muslimischen Zeitgenossen waren die Kreuzritter Teil der kriegerischen Auseinandersetzungen eines ohnehin ständig umkämpften Gebietes; zur „Katastrophe für den Islam“ wurde diese Epoche erst Jahrhunderte später umgedeutet. Eine tatsächliche Katastrophe braute sich im 13. Jahrhundert von ganz anderer Seite zusammen: Der Einfall der Mongolen.

1221 drangen mongolische Reiterheere in Persien erstmals auf islamisches Gebiet vor, setzten in der Folge der Herrschaft der Seldschuken in Anatolien ein Ende und erreichten schon bald Syrien und Palästina, wo sie 1244 Jerusalem von den Kreuzfahrern eroberten. Hülagü, der Enkel Dschingis Khans, machte sich 1251 auf den Weg, auch den restlichen Orient einzunehmen. 1258 vernichtete er das Kalifat von Bagdad, ließ den letzten Abbasiden-Kalifen töten und beraubte damit den Islam seines nominellen religiösen Oberhauptes. Man fürchtete, die Mongolen würden nun auch noch die heiligen Stätten von Mekka und Medina zerstören und dem Islam den Todesstoß versetzen. 1260 annektierte Hülagü Damaskus und Aleppo, und erst die ägyptischen Mamluken unter Sultan Baibars konnten sein weiteres Vordringen stoppen.[71] Dies war ein historisch entscheidender Sieg, denn die Mongolen hatten die Welt des Islam bereits in ihren Grundfesten erschüttert. Nach dem Tod Hülagüs im Jahre 1265 kam es zu Nachfolgestreitigkeiten, die den Siegeszug der Mongolen zum Erliegen brachten. Der Einfall der Mongolen hatte das Ende der arabischen Vorherrschaft in der islamischen Welt besiegelt. Als die Osmanen den arabischen Raum 250 Jahre später eroberten, wurden die einst bedeutenden Zentren des Islam endgültig zur Provinz degradiert und es sollte bis ins 20. Jahrhundert dauern, bis die arabischen Länder, dank ihres Ölreichtums, wieder die Weltbühne betraten.[72]

Schaut man in die ägyptischen Schulbücher von heute, liest sich die Geschichte etwas anders: Zunächst werden die Errungenschaften des Islam gepriesen und seine große Kultur beschrieben, die alsdann von den eindringenden Kreuzfahrern geschwächt und geschändet worden sei. Besonderer Raum wird der Brutalität bei der Eroberung Jerusalems und insbesondere der Erstürmung der Al-Aksa Moschee eingeräumt.[73] Während die Kreuzzüge einen Schwerpunkt bilden, wird der Einfall der Mongolen im 13. Jahrhundert, die Eroberung Bagdads und die Vernichtung des Kalifats, auf ganzen eineinhalb Seiten abgehandelt.[74]

Nach der Verheerung durch die Mongolen waren die ägyptischen Mamluken unter Sultan Baibars die einzige ernstzunehmende Macht in der Region. Ihm und seinen beiden Nachfolgern sollte auch die Vernichtung der letzten Reste der Kreuzfahrerstaaten bis zum Jahr 1291 gelingen.[75]

Die Katastrophe der Kreuzzüge ist eine Konstruktion des 19. Jahrhunderts

Nach dem Untergang des arabischen und später des osmanischen Imperiums konnte die islamische Welt nie wieder an ihre frühere Stärke anknüpfen. Dadurch entstand ein Gefühl der Minderwertigkeit und Machtlosigkeit. Die Kreuzzüge lieferten nun die historische Folie, vor der aktuelle Auseinandersetzungen wie Puzzleteile einer immerwährenden Geschichte der eigenen Unterdrückung wirkten und bis heute wirken.

Nichts deutet darauf hin, dass die Kreuzzüge von ihrem Ende bis ins 19. Jahrhundert eine besondere Rolle im Gedächtnis der islamischen Welt gespielt haben. Es wäre auch höchst ungewöhnlich, wenn sich zur Hochzeit islamischer Eroberungen im 16. Jahrhunderts irgendjemand ernsthaft mit solch unerheblichen Niederlagen wie den Kreuzzügen beschäftigt hätte. Das osmanische Reich reichte von Baku ganz im Osten bis Budapest im Westen, von Ungarn im Norden bis zum Jemen im Süden und entlang der Mittelmeerküste bis Algerien. Aus Sicht dieses erstarkten, wieder geeinten und vor allem siegreichen Islam waren die Kreuzzüge nicht mehr als eine ferne und unbedeutende Episode. Die christliche Welt stellte in den fast 400 Jahren, die auf den Sieg über die letzten Kreuzfahrer folgten, für den Islam machtpolitisch kein größeres Problem dar. Bernard Lewis weist anhand arabischer Quellen nach, dass die Daten der Kreuzzüge zwar von arabischen Historikern verzeichnet wurden, aber ohne jegliche Erwähnung ihrer Hintergründe und Ziele. Die Zeit der Kreuzzüge wurde weder als Glaubenskrieg eingeordnet, noch als besondere Niederlage für die islamische Welt.[76]

Die Zeit der osmanischen Herrschaft, die zum Teil zwischen dem Ende der Kreuzzüge im Nahen Osten und der Eroberung Ägyptens durch Napoleon im Jahre 1798 liegt, bleibt in der islamischen Geschichtsschreibung erstaunlich unterbelichtet,[77] vielleicht auch deshalb, weil sie im Rückblick nicht als fremde Besatzung begriffen wird – immerhin waren die Osmanen selbst Muslime und die Dichotomie vom Westen als Täter und dem Islam als Opfer könnte mit ihnen nicht aufrechterhalten werden. Nichts aber hat der kulturellen Entwicklung der arabischen Länder so zugesetzt, wie die vielen Jahrhunderte osmanischer Herrschaft. Die blühenden Zentren der arabisch-islamischen Welt wie Kairo, Damaskus und Bagdad verkamen zu Provinzstädten des osmanischen Reiches, denn nun war Istanbul, das alte Konstantinopel, zum neuen Zentrum der islamischen Welt geworden.

Mit Napoleons Ägyptenfeldzug im Jahre 1798 wurde der islamischen Welt erstmals drastisch vor Augen geführt, dass sie nicht mehr im Zentrum der Weltpolitik stand, sondern zum Spielball aufsteigender europäischer Mächte geworden war. Nachdem das osmanische Reich bereits seit etwa hundert Jahren in die Defensive geraten war, war es nun einer europäischen Armee gelungen, ohne nennenswerten Widerstand in ein Kernland des Islam einzudringen. Die zweite Demütigung folgte auf den Fuß: Die Briten, die sich die Störung ihrer Handelsrouten durch Napoleon nicht gefallen lassen wollten, schickten ihrerseits ein Geschwader der Royal Navy nach Ägypten, das den Rückzug Napoleons und seiner Truppen erzwang.[78] Eine fremde europäische Macht hatte Ägypten ohne weiteres annektieren können und nicht die Ägypter zwangen sie zum Rückzug, sondern eine weitere europäische Macht. Die Schlussfolgerungen aus diesen bitteren Erfahrungen können wahrscheinlich als die Geburtsstunde des Opfermythos gesehen werden, der, in die Vergangenheit projiziert, in den Kreuzzügen einen adäquaten Anfang fand. So ist es kein Zufall, dass in ägyptischen Schulbüchern unmittelbar auf die Schilderung der brutalen Erstürmung der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem durch die Kreuzritter die Erstürmung der Al-Azhar-Moschee in Kairo durch die Truppen Napoleons folgt.[79]

Auch eine weitere Komponente soll nicht unerwähnt bleiben: Die Eroberung Jerusalems durch die Kreuzritter nimmt heute auch deshalb eine so übergeordnete Bedeutung im Geschichtsbild der meisten Muslime ein, weil sie mit der Existenz des Staates Israel verknüpft wird. Nicht von ungefähr wird Israel immer wieder als „Kreuzfahrerstaat“ bezeichnet.[80] Mit der Deklaration Jerusalems zur drittheiligsten Stadt des Islam versuchen Muslime – gegenüber der Tatsache, dass Jerusalem die wichtigste und heiligste Stadt des Judentums und seit über 2500 Jahren durchgehend von Juden besiedelt ist – einen eigenen Herrschaftsanspruch auf die Stadt und das Gebiet historisch und religiös zu legitimieren.

Durch die Expansion des europäischen Kolonialismus im 19. Jahrhundert und die Aufteilung der Welt zwischen zwei Großmächten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Gefühl der Ohnmacht und der Bedeutungslosigkeit in der islamischen Welt verstärkt und brachte ein tief sitzendes Ressentiment gegen die Sieger der Geschichte hervor.[81] Erst dieses Ressentiment verlieh den Kreuzzügen ihre heutige Auslegung als erster Versuch des Westens, den Islam zu zerstören.

Wird die eigene Eroberungsgeschichte ausschließlich als legitimierte Ausbreitung des Islam begriffen, dann erscheinen die Kreuzzüge folgerichtig als Anfangspunkt unrechtmäßiger, fremder Eroberungen. Diese Sicht bietet sich nicht nur als trostreiche Erklärung und Entschuldigung für alle aktuellen Probleme an, sondern ist eine Schuldanklage gegenüber der westlichen Welt und macht gleichzeitig eine moralische Überlegenheit geltend. Das erklärt auch die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien, bestätigen diese doch ein einfaches Gut-Böse-Schema. Der antiwestlichen europäischen Linken passt der Kreuzzugsmythos ins Bild des imperialistischen Westens. Und nicht zuletzt dienen die Kreuzzüge den Islamisten seit vielen Jahrzehnten erfolgreich dazu, den Hass gegen Europa und Amerika, vor allem aber gegen Israel zu schüren.

Die Rezeption der Geschichte der Kreuzzüge ist ein gutes Beispiel für gelungene Projektion und Mythenbildung. Man nimmt einen beliebigen Punkt der Geschichte, behauptet, an diesem Tag habe das Unheil seinen Lauf genommen und ordnet damit alle nachfolgenden Ereignisse in eine bestimmte Folge von Ursache und Wirkung. Es gehört zum Mythos, dass diejenigen, die ihn pflegen, zumeist ideologische Gründe für seine Verbreitung haben und mit ihm Identitätspolitik betreiben. Im Falle der Kreuzzüge dient er dazu, die gegenwärtige Weltpolitik als Fortsetzung einer „langen Geschichte“ zu beschreiben, in der Muslime stets die Opfer waren. Mythen eignen sich nicht zur friedlichen Verständigung, denn sie sind ihrem Wesen nach Mittel der Selbstvergewisserung und der Abgrenzung. Wo Dialog und Aufeinander-Zugehen nötig sind, sollten sie nichts verloren haben. Mythen sind oft wirkmächtig, und weichen nicht ohne weiteres den Fakten, insbesondere, wenn sie moralische Überlegenheit begründen. „Wer sich selbst als Opfer sieht, kann sich leicht jeder Verantwortung und kritischen Selbstreflexion entziehen. Insofern ist der Opfernimbus, den die islamische geprägte Welt gerne für sich beansprucht, nicht zuletzt ein Ausdruck dafür, dass der kritische Umgang mit der eigenen historischen Rolle sehr unterentwickelt ist.“[82]

Rund tausend Jahre haben islamische Reiche die Welt in Atem gehalten und angesichts dieser Erfolgsgeschichte wirkt es befremdlich, wenn Muslime sich selbst beständig zum Opfer der Geschichte stilisieren. Es steht außer Frage, dass Muslime zu den Opfern der Kreuzzüge gehörten, das hat nicht zuletzt die moderne Geschichtsschreibung hinreichend erhellt. Es steht vor allem außer Frage, dass zahlreiche muslimische Länder später Opfer europäischer Kolonialinteressen wurden. Zwischen beidem besteht jedoch keinerlei Zusammenhang. Die konsequente Ausblendung der aus heutiger Sicht wenig glorreichen Aspekte und Unrechtstaten in der eigenen Geschichte verstellt den Ländern der islamischen Welt, wie der Autor und Publizist Klemens Ludwig bemerkt, den „Weg zur gesellschaftlichen Emanzipation und letztlich zu einem gleichberechtigten Miteinander der Kulturen weltweit.“[83]

Anmerkungen

[1] Karsten KJAER, Teuflische Karikaturen, Dokumentarfilm, deutsche Erstausstrahlung: Arte, 16. Oktober 2007, 20.40 Uhr.

[2] Zitiert nach: Bassam TIBI, Kreuzzug und Djihad. Der Islam und die christliche Welt, München 2001, 15.

[3] Ebenda, 43.

[4] Ebenda, 113; vergleiche auch: Ingo AHLERS, Die Kreuzzüge. Feudale Kolonialexpansion als kriegerische Pilgerschaft, in: Peter FELDBAUER, Gottfried LIEDL, John MORRISSEY (Hgg.), Mediterraner Kolonialismus. Expansion und Kulturaustausch im Mittelalter, Essen 2005, 59.

[5] Unter anderem: TIBI, Kreuzzug, 122 f.

[6] Wie schon an anderer Stelle bemerkt, beschreiben neuere Forschungen die ersten eineinhalb Jahrhunderte der arabischen Expansion als innerchristliche Auseinandersetzung zwischen Byzanz und arabischen Christen. Erst unter den Abbasiden ab 750 habe sich der Islam als eigenständige Religion in Abgrenzung zu Byzanz und Rom herausgebildet. Die islamische Geschichtsschreibung, wie auch Teile der Islamwissenschaft verlassen sich jedoch auf die islamische Überlieferung, wonach die Araber seit spätestens 632 islamisch gewesen seien. Für die Darstellung in unserem Zusammenhang ist entscheidend, dass Muslime selbst die arabische Eroberungsgeschichte als Konfrontation des Islam mit dem Christentum beschreiben. Für die neueren Forschungen siehe unter anderem: Christoph LUXENBERG, Die syro-aramäische Lesart des Koran – Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache, Berlin 2000; Karl-Heinz OHLIG, Gerd R. PUIN (Hg.), Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam, Berlin 2006; Karl-Heinz OHLIG (Hg.), Der frühe Islam. Eine historisch-kritische Rekonstruktion anhand zeitgenössischer Quellen, Berlin 2007; Markus GROSS, Karl-Heinz OHLIG (Hg.), Schlaglichter. Die beiden ersten islamischen Jahrhunderte, Berlin 2008.

[7] Steven RUNCIMAN, Geschichte der Kreuzzüge, München 1995, 65, 72.

[8] Ebenda, 29-35.

[9] Heinz HALM, Die Fatimiden, in: ders. (Hg.), Geschichte der arabischen Welt, München 2001, 177-180.

[10] Ebenda, 177-180.

[11] RUNCIMAN, Geschichte, 35-38; Ulrich HAARMANN (Hg.), Geschichte der arabischen Welt, München 1987, 185.

[12] Hans Eberhard MAYER, Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart; Berlin; Köln 1995, 18-22.

[13] Ebenda, 11.

[14] Ebenda, 13; Robert PAYNE, Die Kreuzzüge, Düsseldorf 2004, 24-28.

[15] Teile der Rede abgedruckt in: Régine PERNOUD, Die Kreuzzüge in Augenzeugenberichten, München 1977, 21-23; neuere Forschungen weisen darauf hin, dass der Aufruf zum Kreuzzug nicht Teil des Konzils war, sondern erst im Anschluss daran erfolgte. Siehe dazu: Georg GRESSER, Die Kreuzzugsidee Papst Urbans II., in: Peter BRUNS, Georg GRESSER (Hg.), Vom Schisma zu den Kreuzzügen 1054-1204, Paderborn 2005,133-154.

[16] Bernard LEWIS, Die Wut der arabischen Welt. Warum der jahrhundertelange Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen weiter eskaliert, Frankfurt/Main 2004, 71.

[17] Michael MITTERAUER, Der Krieg des Papstes, in: Beiträge zur historischen Sozialkunde 3/1996, 116 f.

[18] Ralph-Johannes LILIE, Byzanz und die Kreuzzüge, Stuttgart 2004, 157-180.

[19] Torquato Tasso, italienischer Dichter, 1544-1595.

[20] GOETHE‘s, Werke, Vollständige Ausgabe letzter Hand, Stuttgart-Tübingen 1828, Band VI, Noten und Abhandlungen zum besseren Verständnis des West-östlichen Divans, 186, „Wallfahrten und Kreuzzüge“

[21] Johann Gottfried HERDER, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Band 2, Leipzig 31828, 20. Buch, Teil III: Kreuzzüge und ihre Folgen, 491-497.

[22] Friedrich SCHLEGEL, Vorlesungen über Universalgeschichte (1805-1806), Herausgegeben von Jean-Jaques ANSTETT, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Band 14, München; Paderborn; Wien 1960, 210, 160.

[23] Kaspar ELM, O beatas idus ac prae ceteris gloriosas! Die Eroberung Jerusalems 1099 und der Erste Kreuzzug in der Geschichtsschreibung Raouls von Caen, in: Gabriele THOME, Jens HOLZHAUSEN (Hg.), Es hat sich viel ereignet, Gutes wie Böses. Lateinische Geschichtsschreibung der Spät- und Nachantike, München-Leipzig 2001, 153 f.; Matthias Schwerendt hat die gleiche Tendenz in deutschen Geschichtsbüchern des 19. Jahrhunderts festgestellt: Matthias SCHWERENDT, Araber, Türken, Ungläubige. Islamrepräsentation in Kreuzzugsnarrativen deutscher Geschichtsbücher des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Berlin, Heft 7/8, 58/2010, 636.

[24] ELM, Eroberung, 154 f.

[25] Carl ERDMANN, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Stuttgart 1955, 124.

[26] MITTERAUER, Krieg, 120-122.

[27] Die Geschichtswissenschaft nummeriert nur die großen Kriegszüge, deren Ziel das Heilige Land war. Dazu gehört auch jener „Vierte Kreuzzug“, in dessen Verlauf Konstantinopel erobert wurde, der aber nie im Heiligen Land ankam.

[28] MAYER, Geschichte, S. 51.

[29] Nach der auf das frühe dritte Jahrhundert zurückgehenden Abgarlegende erhielt der armenische König Abgar V. einen Brief von Jesus persönlich, der ihm darin die Sendung eines Jüngers nach der Himmelfahrt versprach und die Heilung von seiner Krankheit, um die ihn der König gebeten hatte. Siehe: Peter BRUNS, Die Kreuzzüge in syrisch-christlichen Quellen, in: BRUNS, GRESSER, Schisma, 51 f.

[30] Anneliese LÜDERS, Die Kreuzzüge im Urteil syrischer und armenischer Quellen, Berlin 1964, 82-85.

[31] MAYER, Geschichte, 59.

[32] TIBI, Kreuzzug, 43-46.

[33] Siehe unter anderem: Amin MAALOUF, Der Heilige Krieg der Barbaren. Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber, München 2003, 54 f., 66 f.

[34] BRUNS, Kreuzzüge, 59 f.

[35] Tamim ANSARY, Die unbekannte Welt der Mitte. Globalgeschichte aus islamischer Sicht, Frankfurt/Main 2010, 153-156; MAALOUF, Krieg, 205-217.

[36] BRUNS, Kreuzzüge, 45 f., 50 f., 59 f.

[37] Ebenda, 61, Fußnote 92; HAVEMANN, Axel, Heiliger Kampf und Heiliger Krieg. Die Kreuzzüge aus muslimischer Perspektive, in: BRUNS, GRESSER, Schisma, 168-171.

[38] PAYNE, Kreuzzüge, 220 f.

[39] MAALOUF, Krieg, 152; BRUNS, Kreuzzüge, 52-55.

[40] MAALOUF, Krieg, 268

[41] Ebenda, 277; TIBI, Kreuzzug, 128.

[42] PERNOUD, Kreuzzüge, 351 f.

[43] LILIE, Byzanz, 61.

[44] Quellen aus dem 11. und 12. Jahrhundert können nicht umstandslos als Tatsachenberichte betrachtet werden. Die kritische Quellenforschung konnte nachweisen, dass beispielsweise die christlichen Beschreibungen der Eroberung Jerusalems sich literarisch stark an alttestamentarische Berichte anlehnen, wie zum Beispiel an den Text Völkergericht und endzeitliches Heil im Buch Jesaia 63,1 – 66,24, siehe: ELM, Eroberung, 161-164.

[45] HAVEMANN, Kampf, 156; Hamed ABDEL-SAMAD, Der Untergang der islamischen Welt, München 2010, 36; siehe auch: LEWIS, Wut, S. 71.

[46] MAYER, Geschichte, 56.

[47] MAALOUF, Krieg, 72.

[48] HAVEMANN, Kampf, 162 f.

[49] MAALOUF, Krieg, 77-79.

[50] Ebenda, 87-89.

[51] Ebenda, 104 f.

[52] Ebenda, 144-146.

[53] MAYER, Geschichte, 61; siehe auch: HALM, Fatimiden, 194.

[54] Zitiert nach: MAALOUF, Krieg, 281, 201; MAYER, Geschichte, 138.

[55] LÜDERS, Kreuzzüge, 98.

[56] HALM, Fatimiden, 192; siehe auch: Bernard LEWIS, Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, München 1987, 70 f.

[57] LEWIS, Wut, 68.

[58] Klemens LUDWIG, Die Opferrolle. Der Islam und seine Inszenierung, München 2011, 191.

[59] HAVEMANN, Kampf, 165 f.

[60] MAYER, Geschichte, 99 f.

[61] MAALOUF, Krieg, 159.

[62] Es handelt sich unter anderem um das Werk des al-Mušarraf ibn al-Muraǧǧā al-Maqdisī.

[63] BRUNS, Kreuzzüge, 51, Fußnote 43.

[64] Oder auch: „Gute Taten des Glaubens“.

[65] HAVEMANN, Kampf, 168-171.

[66] Zitiert nach: Ebenda, 171.

[67] MAALOUF, Krieg, 244-247.

[68] HAVEMANN, Kampf, 171.

[69] Ebenda, 174.

[70] LEWIS, Wut, 69.

[71] MAALOUF, Krieg, 259-264.

[72] Friedrich KLÜTSCH, Schwerter des Geistes – Die Blüte von Kultur und Wissenschaft, in: Bernhard v. DADELSEN (Hg.), Aufbruch ins Morgenland. Weltreligion Islam: Geschichte, Kultur, Gesellschaft, Gütersloh 2009, 122.

[73] ABDEL-SAMAD, Untergang, 35 f.

[74] Ebenda, S. 38; zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Untersuchung von Sozialkunde- und Geschichts- Schulbüchern mehrerer arabischer Länder durch den Religionswissenschaftler Wolfram Reiss. Vor allem in Ägypten wird der Westen „als aggressiver Feind der islamischen Kultur dargestellt“, von den Kreuzzügen wird eine direkte Linie zur Kolonialzeit gezogen. In Syrien hingegen ist der zentrale Feind Israel, das aber mit den Kreuzfahrern gleichgesetzt wird. In Algerien wiederum wird nicht der Westen als Ganzes zum Feindbild, sondern fast ausschließlich die ehemaligen Kolonialmächte Spanien und Frankreich: Wolfram REISS, Das Bild des Anderen: Die Darstellung Europas und seiner Geschichte in arabischen Geschichtsbüchern, in: www.historikertag.de/Berlin2010/index.php/wissenschaftliches-programm/sektionsuebersicht/details/429-Wolfram%20Reiss.html.

[75] HAVEMANN, Kampf, 173-176.

[76] LEWIS, Wut, 71.

[77] ABDEL-SAMAD, Untergang, 39.

[78] LEWIS, Wut, 74 f., vergl. auch: Albert HOURANI, Die Geschichte der arabischen Völker, Frankfurt/Main 2001, 325.

[79] ABDEL-SAMAD, Untergang, 36.

[80] HAVEMANN, Kampf 155 f.

[81] Abdelwahab Meddeb bezeichnet die anhaltende Bedeutungslosigkeit der islamischen Welt als „die ständig schmerzende Wunde der Erniedrigung des islamischen Subjekts“: „Trotz des Reichtums, trotz der großen Zahl (1,2 Milliarden Menschen) bleibt das islamische Subjekt von den Entscheidungen ausgeschlossen, welche das Begehren, eine Perspektive für die Welt festzulegen, zufriedenstellen.“ Abdelwahab MEDDEB, Die Krankheit des Islam, Heidelberg 2002, 185.

[82] LUDWIG, Opferrolle, 110.

[83] Ebenda, 110.