Freiheit und Gleichheit

„Freiheit ist Freiheit, nicht Gleichheit oder Fairness oder Gerechtigkeit oder Kultur oder menschliches Glück oder ruhiges Gewissen.“ (Isaiah Berlin)

Gleichheit und individuelle Freiheit stellen einander entgegengesetzte Pole dar, vor allem, wenn unter Gleichheit soziale Gleichheit oder ganz allgemein die Gleichheit aller Menschen verstanden wird. Hinter dem Wunsch oder der Forderung nach Gleichheit verbirgt sich meist eine Ideologie mit der einhergehenden Vorstellung vom „richtigen Leben“, die, wenn sich nur alle daran hielten, auch für alle den Weg zum Glück weisen würde. Da die Menschen aber von Natur aus verschieden und mit unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet sind, und individuelle Wünsche und Vorstellungen entwickeln, lässt sich Gleichheit nur durch Zwang herstellen. Vom jakobinischen Terror im Anschluss an die französische Revolution bis zum sozialistischen Experiment in Osteuropa bedeutete die Forderung nach Gleichheit zu allererst Terror gegenüber jenen, die sich der Gleichschaltung nicht unterwarfen oder auch nur den Anschein erweckten, ein eigenes und selbstbestimmtes Leben führen zu wollen. Gleichheit durchsetzen zu wollen, heißt, das Individuum zugunsten eines kollektivistischen Paradieses zu knebeln und seine individuelle Freiheit zu leugnen. Zur Gleichheit der Menschen hat all das dennoch nicht beigetragen, einige waren auch im Sozialismus gleicher als die Masse. Benjamin Constant schrieb, als er die Konsequenzen aus den Folgen der französischen Revolution zog: „Wir wollen die Regierung bitten, innerhalb ihrer Grenzen zu bleiben. Sie möge sich darauf beschränken, gerecht zu sein. Für unser Glück werden wir selber sorgen.“ Noch prägnanter drückte sich der amerikanische Philosoph Henry David Thoreau aus: „Wenn ich sicher wüsste, dass jemand in mein Haus käme, mit der festen Absicht, mir Gutes zu tun, würde ich um mein Leben laufen.“

Während einerseits der Versuch, totale Gleichheit der Menschen herzustellen, in Terror endet, so führt andererseits ungezügelte Freiheit zu sozialer Ungerechtigkeit und Unterdrückung. In Gesellschaften ohne jegliche Beschränkung der Freiheit des Einzelnen wird es einigen wenigen gelingen, mittels wirtschaftlicher und politischer Macht ihre Freiheit zu Lasten anderer auszuweiten, andere zu unterdrücken und wirtschaftlich auszubeuten. Absolute Freiheit mündet in der Unfreiheit der Masse. Daher sind Gesellschaft und Staat gefordert, zwischen den beiden Polen Freiheit und Gleichheit einen Ausgleich zu finden: Es muss einerseits so viel individuelle Freiheit gewährt werden wie möglich, ohne dass die Freiheit anderer dadurch eingeschränkt wird, andererseits muss soziale Ungleichheit so weit eingedämmt werden, dass allen Menschen ein Leben in Freiheit möglich ist.

Je mehr Freiheit, umso weniger Gleichheit und vice versa – gleichwohl führt eine Gesellschaft, die die individuelle Freiheit all ihrer Mitglieder achtet, zur einzigen Art von Gleichheit, die in menschlichen Gesellschaften verschiedener und ungleicher Individuen überhaupt möglich scheint: Der Gleichheit in ihrer individuellen Freiheit, die in der Gleichheit vor dem Gesetz ihren tiefsten Ausdruck findet.