Kann denn Liebe Sünde sein?

hochzeit3

 

Die Woche begann mit zwei Schlagzeilen:

„Vatikan empört über Homo-Eltern“

„Großdemo gegen Homo-Ehe“[1]

Der erste Artikel beschreibt die vatikanische Empörung über ein in Italien vom Obersten Gericht gefälltes Urteil, nach dem auch homosexuelle Paare Kinder großziehen dürfen. „Dieses Urteil ist destruktiv, überraschend und gefährlich“, beklagt sich der Familienminister des Vatikan, Bischof Vicenzo. Der zweite Artikel berichtet von der Großdemonstration gegen die in Frankreich von Präsident Holland in Aussicht gestellte Möglichkeit der Ehe von homosexuellen Paaren, inklusive der Möglichkeit, Kinder zu adoptieren. Unter den Organisatoren der Demonstration: Die Katholische Kirche. Deren Vertreter bezeichnen gleichgeschlechtliche Partnerschaften in kriegsrhetorischer Diktion als “schwere Verletzung der Gerechtigkeit und des Friedens” und als “Anschlag auf die Familie“.[2] Homosexualität laufe „dem natürlichen Sittengesetz“ zuwider. Nach wie vor ist Sexualität das große Thema der Katholischen Kirche. Ob es um Aidsprävention geht (Ablehnung von Kondomen), um vor- oder außerehelichen Sex oder Homosexualität – es gibt nur ein erlaubtes Modell einer „sündenfreien“ Sexualität: Heterosexueller Sex zwischen Ehepartnern zum Zweck der Fortpflanzung. Alles andere – und insbesondere Homosexualität – wird verdammt und als schwere moralische Verfehlung und Gefahr für die Gesellschaft denunziert. Die Katholische Kirche lehnt das Selbstbestimmungsrecht des Menschen und damit einen Teil der Menschenrechte im Namen einer „höheren“ Moral und Wahrheit ab.

Dabei sollte man meinen, dass die Kirche mit unbewältigten Problemen sexueller und moralischer Natur in ihren eigenen Reihen genug zu tun hat. In den letzten beiden Jahrzehnten jagte ein Missbrauchsskandal den nächsten. Was in den 1990er Jahren noch als „ wenige Einzelfälle“ abgetan wurde, entpuppte sich nach und nach als weltumspannendes und strukturelles Problem innerhalb der Kirche. In fast allen Ländern, in denen sie aktiv ist, wurden in den letzten Jahren Gewalt gegen und sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in kirchlichen Einrichtungen aufgedeckt. Betroffen waren Deutschland, Schweiz, Österreich, Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, Chile, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Kanada, Kolumbien, Kroatien, Luxemburg, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Nigeria, Norwegen, Philippinen, Polen, Portugal, Schweden, USA.[3] Jahrzehntelang wurden Kinder und Jugendliche in der Obhut der Kirche und meist von deren Personal geschlagen, gedemütigt und sexuell missbraucht. Jahrzehntelang haben oberste Kreise der Kirche von diesen Verbrechen gewusst und geschwiegen. Hin und wieder wurde ein „schwarzes Schaf“ versetzt, aber weder wurden Anzeigen erstattet, noch systematische Untersuchungen eingeleitet. Bezeichnenderweise waren es Länder mit starken zivilgesellschaftlichen Strukturen, wie etwa die USA oder Deutschland, in denen die meisten Fälle aufgedeckt werden konnten. Das lässt darauf schließen, dass in manchen Ländern noch einige Leichen im Kirchenkeller liegen – denn es war nicht die Katholische Kirche selbst, die die bekannten Fälle ans Licht brachte – Aufklärung wurde zumeist eher behindert als gefördert; zugegeben wurde stets nur, was bereits bekannt war. Es ist dem Engagement und in vielen Fällen der Hartnäckigkeit der Betroffenen selbst und den Medien zu verdanken, dass dieses dunkle Kapitel gesellschafts- und strafrelevant wurde. Bis heute versuchen kirchliche Autoritäten, das wahre Ausmaß zu vertuschen und unabhängige Untersuchungen zu unterbinden. Erst vergangene Woche kündigte die Deutsche Bischofskonferenz einen Vertrag mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, das sie selbst mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Kirche beauftragt hatte. Christian Pfeiffer, der Direktor des Forschungsinstituts, warf den Bischöfen daraufhin vor, ein Gutachten nach eigenem Geschmack gewollt zu haben: „Es hat den Versuch der Zensur unserer Arbeit gegeben.“ Vertreter der Kirche weisen diesen Vorwurf zurück und klagen nun gegen Pfeiffer auf Unterlassung dieser Behauptung. Pfeiffer besteht jedoch auf seiner Version. Ohne das Ergebnis dieser Auseinandersetzung vorwegnehmen zu wollen, erweckt die Handlungsweise der Bischofskonferenz den Eindruck, einmal mehr eine unabhängige Untersuchung behindern zu wollen. Wer eine solche ernsthaft will, mischt sich nicht in die Arbeit der beauftragten Organisation ein.

Es gehört schon eine Menge Chuzpe dazu, nach all diesen Vorkommnissen Liebe und Sexualität zwischen frei handelnden Menschen als unmoralisch und gegen Gottes Willen gerichtet zu denunzieren, nur weil diese Menschen das gleiche Geschlecht haben. Wieso glauben Vertreter der Kirche hartnäckig weiter daran, dass ausgerechnet sie Autorität in Fragen von Sexualität und Moral haben? Es stünde ihnen besser an, zur Sexualität anderer zu schweigen, sich ein wenig in Demut zu üben und in Klausur zu gehen, um die kirchlichen Moralvorstellungen einer Prüfung zu unterziehen. Wenn die Katholische Kirche sich dazu durchringen könnte, das Selbstbestimmungsrecht des Menschen und, damit verbunden, die Menschenrechte vorbehaltslos anzuerkennen, fände sie vielleicht zu einer Ethik, die die Würde und das Glück des einzelnen Menschen in den Vordergrund stellt.



[1] Beide im Kurier vom 14.1.2013

[3] Eine Auflistung aller Länder mit kirchlichen Missbrauchsfällen: http://de.wikipedia.org/wiki/Sexueller_Missbrauch_in_der_r%C3%B6misch-katholischen_Kirche

2 Gedanken zu „Kann denn Liebe Sünde sein?

  1. Spiegelonline hat sowohl mit Bischof Stephan Ackermann, dem Missbrauchsbeauftragter der Bischofskonferenz, als auch mit Christian Pfeiffer, dem Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen ein Interview geführt. Beide Interviews zusammen ergeben ein recht gutes Bild von den Vorgängen rund um den Abbruch der Untersuchung und zeugen letztlich davon, dass die Kirche an einer unabhängigen Untersuchung nicht wirklich interessiert ist. Im Zweifelsfall möchten die kirchlichen Autoritäten den Verlauf der Untersuchung und die Veröffentlichung der Ergebnisse mitbestimmen können:
    http://www.spiegel.de/panorama/studie-zum-missbrauch-bischof-ackermann-rechtfertigt-den-abbruch-a-877320.html
    http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/christian-pfeiffer-spricht-im-interview-ueber-den-streit-mit-der-kirche-a-878441.html

Kommentare sind geschlossen.