Saudischem Blogger droht die Todesstrafe

Den saudischen Blogger, Menschenrechtsaktivisten und Betreiber einer liberalen Website, Raif Badawi, erwartet wegen Abfall vom Glauben die Todesstrafe.[i] Raif Badawi gründete im Jahr 2006 das Webforum Freie Saudische Liberale (Free Saudi Liberals), um ernsthafte Diskussionen über liberale Ideen, religiöse Autoritäten und die wahhabitische Interpretation des Islam zu führen. Die Website entwickelte sich rasch zu einer wichtigen Plattform für säkulare und liberal denkende Männer und Frauen Saudi-Arabiens, auf der unter anderem Diskussionen zum Verhältnis von Politik und Religion angestoßen wurden. Nach und nach wurden auch die Behörden aufmerksam. Ab 2008 wurde Raif Badawi mehrmals festgenommen und musste seine Website immer wieder vom Netz nehmen; 2009 belegten ihn die Behörden mit einem Reiseverbot und froren seine Konten ein. Davon ließ er sich aber nicht einschüchtern, sondern stellte die Seite jedes Mal neuerlich online. Raif BadawiDie Revolten in mehreren arabischen Staaten verstärkten die Nervosität der Regierung Saudi-Arabiens, und Dissidenten gerieten vermehrt ins Fadenkreuz der Behörden – so auch Raif Badawi. Im Dezember 2011 wurde Anklage gegen ihn erhoben,

wegen insgesamt fünf Artikeln auf seiner Website, in denen er theologische Grundsatzfragen erörtert und damit islamische Autoritäten beleidigt und islamische Werte angegriffen haben soll. Im März 2012 erhob der Rechtsgelehrten Abd al-Rahman al-Barrak in einem religiösen Rechtsgutachten den Vorwurf der Apostasie gegenüber Raif Badawi. Er habe die prinzipielle Gleichwertigkeit von Muslimen, Juden, Christen und Atheisten behauptet, was nicht ohne Konsequenzen bleiben dürfe. Aber auch davon ließ sich Badawi nicht abschrecken, sondern rief gemeinsam mit mehreren Mitstreitern den 7. Mai 2012 zum Tag der saudischen Liberalen aus, um sich an diesem Tag ausdrücklich gegen die Politisierung des Islam zu wenden. Dieser Protest wurde postwendend verboten, Raif Badawis Website geschlossen und er selbst am 17. Juni 2012 verhaftet. Seine Frau und seine drei Kinder konnten nach Beirut fliehen. Seither ist Raif Badawi als Gewissensgefangener von Amnesty International anerkannt.

Am 28. Juli 2013 wurde Raif Badawi zu sieben Jahren Haft und insgesamt 600 Peitschenhieben (!) verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er den Islam beleidigt und gegen das Gesetz zur Cyberkriminalität verstoßen habe. Zudem warf es ihm Ungehorsam gegenüber seinem Vater vor, mit dem er mehrfach öffentlich über seine Aktivitäten gestritten hatte. Der Todesstrafe entging Raif Badawi nur, weil er in der Verhandlung dreimal das islamische Glaubensbekenntnis aussprach und damit bestätigte, dass er Muslim sei. Gleichzeitig bekräftigte er jedoch, dass jeder Mensch selbst entscheiden müsse, ob er an Gott glaube oder nicht.

Im Juli 2013 hob das Berufungsgericht in Dschidda das Urteil auf und verwies das Verfahren zurück an das Strafgericht. Der dortige Richter erklärte sich Ende Dezember 2013 für nicht zuständig, da auf Apostasie die Todesstrafe stehe, wodurch das Verfahren unter die Zuständigkeit des Höchstgericht falle. Dieses muss jetzt über eine Anklageerhebung entscheiden. Bei einem neuerlichen Prozess droht Raif Badawi die Todesstrafe.

Raif Badawi hatte es zwar immer vermieden, das saudische Königshaus direkt anzugreifen, aber er verstieß gegen eine andere eherne Regel der religiösen Diktatur: Er kritisierte das wahhabitische Establishment und dessen Kontrolle über die gesamte Gesellschaft, sowie die Religionspolizei. Er warnte vor dem Extremismus, den saudische Universitäten propagieren und nannte die Imam Muhammad ibn Saud University einen Hort für Terroristen. Und er wagte es, mit seinen Landsleuten frei über Religion zu diskutieren und stellte dabei die einfachsten Fragen, wie etwa: „Warum ist der Valentinstag in Saudi-Arabien verboten?“. Raif Badawi erwartet die Todesstrafe, weil er seine Meinung öffentlich kundgetan hat; weil er es gewagt hat, Juden, Christen, Muslime und Atheisten als gleichwertig zu betrachten. Ihn erwartet die Todesstrafe in einem Land, dem die österreichische Bundesregierung 2012 die Errichtung eines König-Abdullah-Zentrums für interreligiösen Dialog in Wien ermöglichte, das noch dazu von Österreich mitbetrieben wird und unter diplomatischer Immunität agieren darf. Die österreichische Bundesregierung ist dringend aufgefordert, in Saudi-Arabien zugunsten von Raif Badawi zu intervenieren. Sollten die saudischen Behörden nicht einlenken, stellt sich die Frage, ob das „Dialogzentrum“ eines Landes, in dem es verboten ist, Anhänger anderer Religionen oder Atheisten als gleichwertige Menschen zu betrachten, nicht besser wieder zu schließen wäre. Wer mit der saudischen Regierung interreligiösen Dialog „spielt“, während in Saudi-Arabien alle, die die islamistisch wahhabitische Richtung des Islam kritisieren, mit dem Tod bedroht werden, alle die ihre Meinung frei kundtun ihr Leben riskieren und die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, verspielt jeglichen moralischen Kredit.

Im letzten Jahr wurde der saudische Blogger Hamsa Kashgari, dem wegen mehrerer harmloser Twitter-Einträge ebenfalls die Todesstrafe drohte, nach weltweiten Protesten überraschend freigelassen. Es ist zu hoffen, dass Ähnliches auch im Falle Raif Badawis gelingt. Am 3. Mai findet unter dem Motto „Stand for freedom of speech. Stand vor Raif Badawi” ein internationaler Aktionstag statt. In Wien bietet sich das König-Abdullah-Zentrum als erste Anlaufstelle für Proteste an. Informationen werden derzeit nur über Facebook verbreitet, eine eigene Website ist aber in Vorbereitung. Auf Avaaz.org wurde eine Online-Petition gestartet, die bisher leider kaum Unterzeichner/innen gefunden hat; eine weitere findet sich auf change.org.
Fortsetzung folgt.

Update

Kacem El Ghazzali spricht als Vertreter der IHEU (International Humanist and Ethical Union) vor der UNO das Schicksal Raif Badawis an: YouTube-Video.
Hier findet sich die schriftliche Fassung der Rede auf Englisch: IHEU-Seite.

Es gibt eine eigene Facebook-Seite zur Kampagne zur Freilassung von Raif Badawi: Facebook.

28. April 2014

Amnesty Norway hat einen tollen Film zur Freilassung von Raif Badawi auf Youtube gestellt.

Mehrere US-Kongress-Abgeordnete haben sich in einem Brief mit der Bitte an US-Präsident Obama gewandt, er möge den Fall Raif Badawi bei seiner Reise nach Saudi Arabien ansprechen.

In Saudi Arabien wurde der Menschenrechtsaktivist und Anwalt von Raif Badawi, Waleed Abu al-Khair, verhaftet. Dazu mehrere Artikel von Amnesty International.

Saudi Arabien hat unterdessen Atheisten generell zu Terroristen erklärt.

Kundgebungen sind am 3. Mai, dem Internationalen Tag für die Menschenrechte in folgenden Städten angekündigt, jeweils vor der Botschaft Saudi Arabiens:

– Ottawa, Kanada, von 15-17 Uhr
Washington DC, USA, 15 Uhr
– Madrid, Spanien
– Tunis, Tunesien
– Bern, Schweiz
Paris, Frankreich, 14.15-16.15 Uhr

6. Mai 2014

Raif Badawi wurde heute von einem Gericht in Dschidda wegen “Beleidigung des Islam” und dem Betreiben einer liberalen Website zu 10 Jahren Haft, 1000 Peitschenhieben und einer Geldstrafe von 1 Millionen Rial (rund 190.000 Euro) verurteilt…
Amnesty International