Antisemitismus und Palästina-Solidarität

Selbstverständlich darf man Israel kritisieren – jene, die das Gegenteil behaupten, tun es unausgesetzt und ohne, dass ihnen bisher etwas geschehen wäre. Und selbstverständlich ist nicht jede Kritik an Israel antisemitisch – auch wenn der Grat zwischen Kritik und Antisemitismus ein sehr schmaler ist. Den so offensichtlich anderen Maßstab, der bei der Bewertung Israels im Verhältnis zu allen anderen Staaten und des Nahost-Konflikts zu allen anderen Konflikten dieser Welt angelegt wird, würde ich noch nicht umstandslos antisemitisch nennen, auch wenn ich mich immer wieder wundere: Als

Essen, 18.7.

Essen, 18.7.

die russische Regierung Tschetschenien in Grund und Boden bomben ließ, fanden sich keine Friedensdemonstranten. Auch die Bombardements ganzer Städte in Syrien durch Assads Militär lockten keine Massen von Demonstranten auf die Straße. Und dass aktuell die Terrorgruppe Isis in Syrien und dem Irak Gegner und Andersgläubige abschlachtet oder Boko Haram den Norden Nigerias mit Terror überzieht, ruft ebenfalls keine großen Proteste hervor. Weiterlesen

Judenfeindschaft

Eine Leseprobe aus unserem Buch: Heiko Heinisch; Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel “Judenfeindschaft”

Der Begriff Antisemitismus, geprägt im 19. Jahrhundert, hat sich mittlerweile im allgemeinen Sprachgebrauch für alle Formen der Judenfeindschaft durchgesetzt, wobei die unterschiedliche Genese in verschiedenen Regionen und Kulturen außer Acht bleibt. Zum besseren Verständnis der Unterschiede und Gemeinsamkeiten jedoch scheint für unser Thema ein Blick auf die historische Entwicklung der Judenfeindschaft in Islam und Christentum hilfreich.

Der europäische Antisemitismus hat seine Wurzeln im christlichen Antijudaismus und reicht in die ersten Jahrhunderte des Christentums zurück. Seit der Abspaltung der frühen Christen vom Judentum war das Weiterbestehen der jüdischen Religion die gelebte Infragestellung christlicher Heilsvorstellung, denn die Juden warteten weiterhin auf jenen Messias, den die Christen mit Jesus bereits gekommen sahen. Die Existenz

"Ecclesia und Synagoge", 13. Jh., Darstellungen der Siegreiche Kirche und der besiegten Synagoge mit gebrochenem Stab und verbundenen Augen vom Portal des Straßburger Münsters

“Ecclesia und Synagoge”, 13. Jh., Darstellungen der Siegreiche Kirche und der besiegten Synagoge mit gebrochenem Stab und verbundenen Augen vom Portal des Straßburger Münsters

des Judentums traf die christliche Identität in ihrem Kern. Doch die Juden waren, obgleich als verstockt und verdammt angesehen, auch, wie Ernst Gombrich einmal feststellte, integraler Teil der christlichen Erlösungsgeschichte. Sie waren „Gottes erste Liebe“ (Friedrich Heer), das Volk, mit dem Gott den ersten Bund geschlossen hatte, mit ihnen teilte man das Alte Testament.[1] In dieser theologischen Verflechtung, die Herausforderung und ständige Provokation zugleich war, liegt die Ursache dafür, dass Juden im christlichen Diskurs von Beginn an Gegenstand der Auseinandersetzung und dominantes Feindbild waren und das Christentum eine solche Fülle an judenfeindlichen Schriften hervorbrachte. Zentraler Punkt war hierbei der schon für das zweite christliche Jahrhundert belegte Vorwurf des Gottesmordes:

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Saudischem Blogger droht die Todesstrafe

Den saudischen Blogger, Menschenrechtsaktivisten und Betreiber einer liberalen Website, Raif Badawi, erwartet wegen Abfall vom Glauben die Todesstrafe.[i] Raif Badawi gründete im Jahr 2006 das Webforum Freie Saudische Liberale (Free Saudi Liberals), um ernsthafte Diskussionen über liberale Ideen, religiöse Autoritäten und die wahhabitische Interpretation des Islam zu führen. Die Website entwickelte sich rasch zu einer wichtigen Plattform für säkulare und liberal denkende Männer und Frauen Saudi-Arabiens, auf der unter anderem Diskussionen zum Verhältnis von Politik und Religion angestoßen wurden. Nach und nach wurden auch die Behörden aufmerksam. Ab 2008 wurde Raif Badawi mehrmals festgenommen und musste seine Website immer wieder vom Netz nehmen; 2009 belegten ihn die Behörden mit einem Reiseverbot und froren seine Konten ein. Davon ließ er sich aber nicht einschüchtern, sondern stellte die Seite jedes Mal neuerlich online. Raif BadawiDie Revolten in mehreren arabischen Staaten verstärkten die Nervosität der Regierung Saudi-Arabiens, und Dissidenten gerieten vermehrt ins Fadenkreuz der Behörden – so auch Raif Badawi. Im Dezember 2011 wurde Anklage gegen ihn erhoben,

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Der Begriff Islamophobie

Eine Leseprobe aus unserem Buch: Heiko Heinisch; Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel „Der Begriff Islamophobie“.

Der Terminus Islamophobie ist eine Wortneuschöpfung der angelsächsischen Soziologie der 1990er Jahre. Der Begriff operiert mit einer aus der Psychologie stammenden Definition irrationaler Angstzustände: Als Phobie oder phobische Störung wird eine krankhafte, unbegründete und anhaltende Angst vor Situationen, Gegenständen, Tätigkeiten, Tieren oder Personen bezeichnet. Der erste Teil der Wortverbindung benennt den jeweiligen Auslöser dieser Angst, der in Verbindung mit dem Wort Phobie ein Krankheitsbild bezeichnet – zum Beispiel Arachnophobie (griechisch Arachno=Spinne), die Angst vor Spinnen oder Klaustrophobie (lateinisch claustrum=Käfig), die Angst vor engen Räumen. Der Auslöser einer Phobie ist demnach wertfrei; etwas, das für sich genommen nicht bedrohlich ist, aber bei der betroffenen Person Angst bis hin zu Panikattacken auslöst und deshalb in der Psychologie als Krankheitsbild beschrieben wird. Die Begriffsverbindung Islamophobie würde demgemäß eine krankhafte, weil unbegründete, Angst vor dem Islam bezeichnen. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass Religionen, Weltanschauungen, Ansichten, wissenschaftliche Theorien, kurz, jegliche Denk- und Vorstellungskomplexe nicht wertfrei sind. Sie rufen naturgemäß entweder Anerkennung/Zustimmung oder Kritik/Ablehnung hervor und sind somit von vornherein Auslöser von Diskussion und Wertung. Wir sprechen zu Recht nicht von Christentumsphobie, wenn Menschen die christliche Lehre und Kirchenpolitik kritisieren oder gar bekämpfen. Die Ablehnung der Evolutionstheorie, die mit dem Versuch einhergeht, Darwins Lehre aus dem Schulunterricht zu verbannen, wird nicht mit dem Begriff Evolutionsphobie beschrieben, ebenso wenig wird Kritik an oder Angst vor dem Kommunismus oder Kapitalismus als Phobie bezeichnet, und sei sie noch so emotional vorgetragen. Weiterlesen

Respekt gegenüber einer Religion?

Immer wieder hört und liest man die Forderung nach „Respekt für den Islam“. Einzelne Muslime erheben diesen Anspruch in Foren, muslimische Vereine und Verbände oder Politiker weisen wiederholt darauf hin.[1] In einem Artikel vom Februar 2013 auf der Seite des Zentralrats der Muslime in Deutschland heißt es: „Mangelnder Respekt vor dem fremden Glauben sollte die gleichen Folgen nach sich ziehen wie Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe oder Geschlecht.“ Auch in Europa gibt es einige Journalisten und Politiker, die sich diesem Sprachgebrauch anschließen. So etwa der deutsche Außenminister Guido Westerwelle, als er nach dem Tod Osama Bin Ladens 2011 befand, es gelte religiöse Kulturen zu achten und den Islam zu respektieren. Ist mangelnder Respekt vor einem Glauben das Gleiche wie die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religion oder Hautfarbe? Weiterlesen

Bilderverbot

Eine Leseprobe aus unserem Buch: Heiko Heinisch; Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel „Bilderverbot“.          Im Buch selbst ohne Bilder.

Durch den Karikaturenstreit erfuhr die breitere Öffentlichkeit im Westen erstmals von einem in der islamischen Welt üblichen, religiös begründeten Bilderverbot. Im Oktober 2005 hatte die dänische Zeitung Jyllands Posten zwölf Karikaturen zum Thema „Mohammed“ abgedruckt, die in der islamischen Welt eine Welle gewalttätiger Demonstrationen mit Verletzten und Toten auslösten. Vertreter muslimischer Organisationen und Institutionen beriefen sich bei der Ablehnung der Karikaturen neben der Beleidigung religiöser Gefühle auch auf ein strenges Bilderverbot im Islam. Auch manche und mancher westliche Intellektuelle machte sich diese Sicht zu eigen. Günther Grass zum Beispiel kommentierte die Proteste lapidar mit der Bemerkung, den Zeitungsherausgebern sei bekannt gewesen, dass die Darstellung Allahs oder Mohammeds in der islamischen Welt verboten sei.[1] Ist sie das wirklich? Und wenn ja, was hat die übrige Welt mit diesem Verbot zu tun?Jesus+MohammedBereits Anfang 2002 hatte es in mehreren islamischen Ländern eine ähnliche, wenn auch weniger heftige Reaktion auf einen „Verstoß“ gegen das Bilderverbot gegeben, der in Europa allerdings kaum wahrgenommen worden war.

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Toleranz

Eine Leseprobe aus dem Buch Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012 von Nina Scholz und mir, mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel „Toleranz“.          (im Buch leider ohne Bilder)

Passagen

In der Folge der Anschläge vom 11. September 2001, die den Islam und das Leben in den islamischen Ländern vom bestenfalls randständigen Thema zum Tagesgespräch machten, ist über die Toleranz des Islam viel gestritten worden. Die einen werden der Wiederholung nicht müde, dass der Islam in Geschichte und Gegenwart eine tolerante und friedliche Religion gewesen sei, während die anderen im Islam und seinem heiligen Buch, dem Koran, den Inbegriff der Intoleranz sehen.

Der Begriff der „Toleranz“ hat im Laufe seiner Geschichte einen erheblichen Wandel erfahren. Im Zuge der Reformation, den ihr folgenden Glaubenskriegen im 16. und 17. Jahrhundert und der beginnenden Aufklärung, wurde der Begriff vom Lateinischen tolerare (= erdulden) ins Deutsche übernommen. Zunächst bedeutete Toleranz nur die Duldung Andersgläubiger als religiöse Minderheit durch die Mehrheit, beziehungsweise durch den Staat, der bis dahin nicht anders als religiös einheitlich vorstellbar gewesen war. Nach der Reformation galt diese Einheit nicht mehr auf Reichsebene, sondern nur noch auf der Ebene der Fürstentümer.[1]

Im Mittelalter war es Juden erlaubt, in einigen Städten zu siedeln; ihr Status war jedoch durch Sondergesetze festgelegt, die den päpstlichen Vorgaben folgten und sie als Fremdkörper in christlicher Umgebung markierten. Es war Papst Innozenz III., der die Ausgrenzung der Juden aus der christlichen Umwelt zur Perfektion trieb und den Juden den Weg ins Ghetto wies. Auf dem von ihm geleiteten IV. Laterankonzil wurde 1215 beschlossen, dass Christen keine Juden heiraten durften, dass Juden als Zeichen ihrer Stigmatisierung bestimmte Kleidung zu tragen hatten und zu bestimmten christlichen Festen (zum Beispiel in der Karwoche) nicht auf die Straße gehen durften.[2] Weiterlesen

Saudi Arabien: Diktatur zu Hause, Dialog im Westen. Wie passt das zusammen?

Eine Fernsehrunde auf OKTO-TV

Anlässlich des im November 2012 in Wien eröffneten umstrittenen “König Abdullah Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog” beschäftigt sich die Sendung Es werde Licht, Humanistisches Fernsehen auf OKTO-TV mit dem Initiator und Hauptsponsor des Zentrums, der absolutistischen Monarchie Saudi Arabien und dem Widerspruch, fernab von zu Hause ein Dialogzentrum betreiben zu wollen und im eigenen Land eine extremistische und unduldsame Variante des Islam durchzusetzen und politische und religiöse Freiheit mit Füßen zu treten. Geladene Gäste der Gesprächsrunde: Michael Ley (Politikwissenschaftler, Innsbruck), Amer Albayati (Initiative Liberaler Muslime in Österreich) und ich. Moderation: Jorit Posset. Erstausstrahlung: 24. Januar 2013 um 20 Uhr.

Siehe auch den Beitrag von Nina Scholz zum “König Abdullah Zentrum”: https://www.heiko-heinisch.net/wir-sind-dialog/

Ägypten – Scharia und Menschenrechte für alle?

Die meisten Kommentatoren der vergangenen zwei Jahre waren sich einig: Die Muslimbruderschaft sei längst keine radikal islamistische Gruppe mehr, sondern habe sich zu einer moderaten, gewaltfreien und demokratischen Partei gewandelt. Was auch immer die entsprechenden Kommentatoren zu dieser Einschätzung veranlasst hatte – in erster Linie wohl Wunschdenken –, sie sollten in den letzten Wochen eines Besseren belehrt worden sein. Das Vorgehen der Muslimbruderschaft rund um den ägyptischen Verfassungsentwurf zeigt deutlich, dass die Partei von jener politischen Agenda, derentwegen sie vor knapp 100 Jahren gegründet wurde, nicht abgewichen ist. Ihr Ziel war von Anfang an ein Staat, dessen Verfassung auf Koran und Sunna aufbaut und dessen Gesetz die Scharia ist. So nah wie heute war die Bruderschaft der Macht in ihrer gesamten Geschichte nicht. Und an ihrer Entschlossenheit, diese für eine Islamisierung Ägyptens zu gebrauchen, kann nicht gezweifelt werden. Gezielt arbeiten Präsident Mohammed Mursi und die Bruderschaft auf einen grundlegenden Wandel der ägyptischen Gesellschaft hin, dessen Ergebnis – so viel steht heute schon fest – kein pluralistischer und demokratischer Staat sein würde.

Wenn die Muslimbruderschaft moderater wirkt, als die mit ihr verbündeten Salafisten, dann nur, weil ihr Islamismus zukunftsorientiert ist. Die Bruderschaft will nicht zurück ins 8. Jahrhundert; sie will einen modernen islamistischen Staat. Ihr Vorbild ist nicht das Afghanistan der Taliban, sondern eher eine sunnitische Variante des iranischen Gottesstaates. In diese Richtung weist auch der in der neuen Verfassung festgeschriebene Plan, Teile der Gesetzgebung von den religiösen Rechtsgelehrten der Al-Azhar-Universität vor Inkrafttreten auf ihre Scharia-Konformität prüfen zu lassen (Artikel 4). Weiterlesen

Bandion-Ortner und der Dialog

Am Montag dem 26.11.2012 wurde in Wien das König Abdullah Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog feierlich eröffnet. Am selben Tag erschien im Kurier ein Interview mit der Vizegeneralsekretärin und ehemaligen österreichischen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner. Hoffnungsvoll bemerkt sie darin: „Der Dialog funktioniert wirklich. Ich war selbst überrascht, in welch harmonischer Art und Weise er abläuft.“ Angesprochen auf die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien legt sie in beeindruckend schlichter Weise die Vorstellung ihres Zentrums von Dialog und Menschenrechten dar:

„Gegenfrage: Was würde sich ändern, wenn der Austausch nicht stattfände. Dialog ist immer besser als Monolog. Wir sind nicht dazu da, um andere zu beurteilen oder uns irgendwo einzumischen. Es geht darum, Unterschiede herauszuarbeiten und zu akzeptieren. Wir können die Welt nicht von heute auf morgen verändern, das wissen wir, doch langfristig wird unsere Arbeit Früchte tragen – in allen Ländern dieser Welt. Und sie wird auch zur Verbesserung der Menschenrechte, letztlich zum Frieden beitragen.“

Nun ist es ohne Zweifel wichtig, auch über ideologische und weltanschauliche Gräben hinweg miteinander zu reden und Konflikte verbal auszutragen, aber ein Dialog mit Vertretern eines der brutalsten Regime der Welt mit seiner extremistischen Auslegung von Religion sollte weder Harmonie noch Akzeptanz von Unterschieden zum Ziel haben, will er nicht zum diplomatischen Small Talk verkommen. Weiterlesen