Auch eine Muslimin kann sexuell frei sein

Mit „Der alltägliche Islamismus“ hat die Schweizer Politikwissenschaftlerin Elham Manea ein weiteres wichtiges Buch zum Verständnis des Islamismus und seiner Auswirkungen auf Gesellschaften vorgelegt. Unser Kolumnist Heiko Heinisch sprach mit ihr über den politischen Islam, das Kopftuch, Parallelgesellschaften und die ideologischen Gemeinsamkeiten von gewaltfreien Islamisten und Dschihadisten.

© Andy Ngo

 

Heiko Heinisch: Elham Manea, Ihr aktuelles Buch trägt den Titel „Der alltägliche Islamismus“. Was genau verstehen Sie unter Islamismus?

Elham Manea: Der gewaltlose Islamismus propagiert eine Ideologie des politischen Islams und zugleich eine radikale Interpretation des Islams. Sie teilt die Welt in zwei Lager: die Gläubigen und die Ungläubigen. Die Gläubigen sollen das Banner des Islams hochhalten und ihn, wenn nicht mit Gewalt, so aber doch durch die Dawa, durch missionarisches Predigen, verbreiten. Dieser Ansicht nach ist der Islam nicht lediglich eine Religion: Er ist Staat und Religion.  Die erste Form ist der Neofundamentalismus (gesellschaftlicher Islam). Er entwickelte sich in verschiedenen extremistischen Bewegungen, die im 18. Jahrhundert aufkamen und den Medina-Islam verbreiteten; sie entstanden im Wesentlichen als Gegenreaktion auf die Herausforderungen der Moderne. Ein Beispiel dafür ist der salafistische Wahhabismus oder sein südasiatisches Pendant, der Deobandi-Islam. Die zweite Form, der politische Islam, ist eine politische Ideologie, die in den Interpretationen des Neofundamentalismus wurzelt. So ist etwa die Muslimbruderschaft – der Prototyp des politischen Islamismus – in religiöser Hinsicht salafistisch geprägt. Die Pendants der Muslimbruderschaft in Südasien und der Türkei sind Jamaat-e-Islami und Milli Görüş. Alle Bewegungen, die diesem ideologischen Spektrum angehören, zielen auf Dominanz. Sie sind antidemokratisch und zutiefst totalitär und diskriminierend, denn sie streben eine Gesellschaft an, in der die Menschenrechte über religiöse Zugehörigkeit definiert werden. Das heißt, es gibt Menschen erster, zweiter und dritter Klasse.

Die Bürde des weißen Mannes

H.H.: In Ihrem Buch sprechen sie vom „essentialistischen Paradigma“, dem sich heute viele linke und liberale Intellektuelle verpflichtet fühlen. Muss man diesen Essentialismus, also die Reduktion der Identität von Menschen auf ihre religiöse Zugehörigkeit, nicht auch als Teil des islamistischen Programms betrachten?

E.M.: Das stimmt. Islamisten instrumentalisieren die Bürde des weißen Mannes, d.h. die mit dem Kolonialismus und Imperialismus verbundenen Schuldgefühle,
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Der gestohlene Rassismus

Den Verfechtern des Begriffs „Islamophobie“ geht es nicht um die Beseitigung von Rassismus in der Gesellschaft, sondern um islamische Identitätspolitik. Der Bekämpfung von Rassismus erweisen sie damit einen Bärendienst.
islamorassis

Rassismus ist kein neues Phänomen, bereits bei Aristoteles lässt sich eine mit den klimatischen Bedingungen der Herkunftsländer begründete Rassenlehre nachweisen. Optimal waren diese Bedingungen natürlich nur – wen sollte es verwundern – in Griechenland, weshalb dort auch, nach Aristoteles, die besten Menschen zu finden seien, während überall sonst kulturell und charakterlich unterlegene Menschen leben würden, von denen manche gar zum Sklavendasein geboren seien.[i] In den folgenden knapp 2400 Jahren lässt sich Rassismus in allen Gesellschaften nachweisen und immer geht es darum, Menschen anhand körperlicher Merkmale umfassend, also auch charakterlich zu bewerten und in ein gutes „Wir“ und ein schlechtes „Die Anderen“ einzuteilen.

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Saudi Arabien kann es sich leisten, weil es nichts kostet

Heute ist der 3. Jahrestag der Verhaftung von Raif Badawi. Heute ist auch der Geburtstag seines ebenfalls verhafteten Anwalts Waleed Abu al-Khair.

Jimmy Wales, Gründer von Wikipedia und einer der Unterstützer der Kampagne zur Freilassung der beiden, richtet aus diesem Anlass eine Videobotschaft an den saudischen König und die Regierung. Darin heißt es unter anderem: “Merely speaking your mind is not a crime. … There’s a rising mood and a rising movement worldwide to put pressure on our governments and on our businesses to stop doing business with you – it’s going to really hurt you – Now’s the Time”
UnbenanWales bringt einen wesentlichen Punkt ins Spiel: Saudi Arabien kann die Menschenrechte fortgesetzt mit Füßen treten, weil dies in all den vergangenen Jahrzehnten weder wirtschaftliche Konsequenzen hatte, noch für diplomatische Verstimmungen sorgte, weil es bisher nichts oder nur sehr wenig kostete. Versuchen wir also, die Kosten zu erhöhen! Die Verletzung der Menschenrechte im Allgemeinen und die Vollstreckung des Urteils gegen Raif Badawi und Waleed Abu al-Khair im Speziellen sollte für Saudi-Arabien so teuer werden, dass es seine bislang kompromisslose Haltung überdenkt. Das würde vielleicht nicht nur dazu führen, dass die von den saudischen Autoritäten als gerecht bezeichnete Auspeitschung von Raif Badawi weiter ausgesetzt wird, sondern auch den zunehmend in Erscheinung tretenden Kräften im Land helfen, die die steinernen Verhältnisse aufweichen möchten und sich Freiheit und Menschenrechte wünschen. Diese sind letztlich die Adressaten der Urteile gegen Raif Badawi und seinen Anwalt.

Bislang zeigt sich Saudi-Arabien zu keinerlei Konzessionen bereit. In den letzten Tagen, nach der neuerlichen Bestätigung des Urteils Weiterlesen

1000 Peitschenhiebe für die Menschenrechte

Wie die Auspeitschung des Aktivisten zum Problem für Saudi-Arabien wurde. Eine Analyse.

Plakataktion in Hamburg, Dezember 2014

Plakataktion in Hamburg, Dezember 2014

Kaum ein Name hat in den letzten Wochen einen derartigen internationalen Bekanntheitsgrad erlangt wie der Name des inhaftierten saudischen Menschenrechtsaktivisten Raif Badawi. Am 9. Januar dieses Jahres wurde er nach dem Freitagsgebet in Dschidda, wo er seit beinahe 3 Jahren eine insgesamt zehnjährige Haftstrafe absitzt, öffentlich ausgepeitscht. Es waren die ersten 50 von insgesamt 1000 Hieben.

Der weltweiten Empörung, den unzähligen Kundgebungen, die seither wöchentlich vor saudischen Botschaften von Kanada bis Istanbul, von Oslo bis Rom und von Marokko bis Pakistan stattfinden und der großen medialen Aufmerksamkeit ist es zu verdanken, dass die Fortführung der Auspeitschung in der Folge Freitag für Freitag ausgesetzt wurde. Die Hoffnung, dass Raif Badawi unter die von König Salman anlässlich seiner Thronbesteigung erlassene Amnestie fällt, Weiterlesen

Menschenrechte sind universell, ohne Wenn und Aber

Den folgenden Text hat Elham Manea mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Er wurde erstmals im März 2012 auf Amina Chaudris Blog veröffentlicht.
Elham Manea wurde in Ägypten als Tochter eines jemenitischen Diplomaten geboren. Sie ist Buchautorin (u.a. „Ich will nicht mehr schweigen: Der Islam, der Westen und die Menschenrechte (Herder, 2009)) und Privatdozentin an der Universität Zürich. 2016 wird elham-manea_2012_3ihr Buch „Women and Shari’a Law: The Impact of Legal Pluralism in the UK“ bei I.B.Tauris, London publiziert, eine Untersuchung von Rechtspluralismus in europäischen Gesellschaften. Elham Manea engagiert sich für einen humanistischen Islam; Menschenrechte sind für sie das höchste Gut und dürfen nicht angetastet werden. Sie ist die offizielle Stimme der Kampagne für die Freilassung Raif Badawis.

Was formt einen Menschen? Was macht ihn zu der Persönlichkeit, als die man ihn heute kennt? Manchmal frage ich mich, ob ich heute die wäre, die ich bin, wenn nicht die Augen meiner Mutter gewesen wären. Der stumme Ruf ihrer Augen wird mein ganzes Leben lang in mir widerhallen. Ohne diesen Widerhall hätte ich meinen ersten arabischen Roman صدى الأنين (Echoes of Pain) nicht geschrieben.

Wäre ich heute jemand anderes, wäre nicht die Stimme meines Vaters gewesen? Wie auch meine Mutter sprach er lange mit mir – über das Leben und den Tod, über Religion und über die Freiheit des menschlichen Willens. Als ich klein war, spielte er mit mir am liebsten Gedichte rezitieren: Er trug einen Teil eines Gedichts vor, und ich musste mit dem letzten Buchstaben ein neues beginnen. Ich liebte seine Spiele. Er war ein Philosoph, der stärker an mich glaubte, als ich selbst es tat. “Träume von den Sternen, arbeite hart, und mit ein bisschen Glück wirst Du sie einfangen”. Ich verstand nie ganz, was er in mir sah, aber mit der Zeit lernte ich, seinem Glauben an mich zu vertrauen.

Die Geschichten meiner Mutter waren ganz anders. Sie waren durch Schmerz geformt: der Schmerz, ein Mädchen zu sein, das mit acht Jahren beschnitten wurde; der Schmerz über den Fluch ihrer Schönheit, die ihren Vater dazu brachte, sie mit 13 zu verheiraten – je früher die Last auf einen anderen überwälzt war, desto besser –; auch der Schmerz von anderen Frauen, deren bittere Geschichten sie kannte. Dieser Schmerz hatte oft mit Männern zu tun. „Dem Mann kann man nicht vertrauen. Der Mann fügt nur Schmerzen zu”. Aber mein Vater war doch ein Mann! Und bei Gott, er war so wunderbar. Er war mein Held. Weiterlesen

Problem Islam

Wir haben ein Problem mit dem Islam. Wir alle, die wir in freien und offenen Gesellschaften leben wollen, unabhängig von unserer Religion oder Weltanschauung: Wir alle haben ein Problem mit dem Islam – und die mehrheitlich islamisch geprägten Länder ebenfalls.Charlie
„DEN Islam gibt es nicht!“ werden seine Verteidiger an dieser Stelle empört ausrufen. Richtig. Und genau deshalb ist es auch unsinnig, nach jedem Terroranschlag erneut zu betonen, DER Islam sei eine Religion des Friedens und der Toleranz. Das ist er offensichtlich nicht. Eine Religion ist stets das und nur (!) das, was die Anhänger aus ihr machen; es gibt nur diese real existierenden Varianten und keine von den Gläubigen abgekoppelte ideale, wahre und reine Religion.

Inmitten der Menschen, die heute gemeinhin unter der Bezeichnung „Muslime“ subsumiert werden, befinden sich viele, die ihren Glauben abgelegt haben, die also nicht mehr Muslime sind. Andere praktizieren den Glauben nur an hohen Feiertagen und lassen Gott ansonsten einen lieben Mann sein. Viele bekennende Muslime leben ihren Glauben friedlich, betrachten ihn als eine Sache zwischen sich und Gott oder allenfalls zwischen ihrer Gemeinde und Gott. Wie groß ihr jeweiliger Anteil ist, lässt sich schwer schätzen, belastbare Studien gibt es kaum.

Aber um diese drei Gruppen geht es auch nicht, Weiterlesen

1000 Peitschenhiebe für eine Meinung

Ein Kommentar von mir zu Raif Badawi und dem König Abdullah Zentrum in der Wiener Zeitung vom 16. Januar 2015:

In Saudi-Arabien wird der Blogger und Menschenrechtsaktivist Raif Badawi in Etappen zu Tode geprügelt. Bundespräsidenten Heinz Fischer hält das König Abdullah Zentrum in Wien trotzdem für eine gute Idee.Raif Badawi

Seit Juni 2012 sitzt der saudische Blogger und Menschenrechtsaktivist Raif Badawi in Haft. Im Mai 2014 wurde er zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verurteilt. Damit er nicht sofort stirbt, werden ihm die Hiebe zu je 50 Stück an 20 aufeinander folgenden Freitagen öffentlich verabreicht. Am vergangenen Freitag wurde mit der Exekution der barbarischen Prügelstrafe begonnen und sollten die saudischen Behörden nicht einlenken, wird er heute erneut ausgepeitscht. Sein Vergehen? Weiterlesen in der Wiener Zeitung.

Der Bundespräsident und der saudische Blogger

Der folgende Kommentar ist am 9. Januar in der Tageszeitung DER STANDARD erschienen.

In einem APA-Interview antwortete Bundespräsident Heinz Fischer unlängst auf die Frage nach dem „König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog“ (KAICIID), er halte die Entscheidung, „ein solches Dialogzentrum der verschiedenen Religionen in Wien zu errichten“ nach wie vor für richtig. Nichts gegen ein Dialogzentrum, aber warum muss ein solches ausgerechnet den Namen des saudischen Königs tragen und von Saudi-Arabien finanziert werden, einem Land, das nicht gerade für Toleranz und Religionsfreiheit bekannt ist. Im Gegenteil. Im Königreich sind sämtliche Symbole anderer Religionen verboten, schon das Einführen einer Bibel ist strafbar, Juden erhalten keine Einreiseerlaubnis. Im vergangenen Jahr wurden mindestens 83 Menschen öffentlich hingerichtet, üblicherweise nach dem Freitagsgebet – auch wenn Frau Bandion-Ortner, Vizegeneralsekretärin des KAICIID, uns unlängst versicherte, dass dies nicht jeden Freitag geschehe. Die Todesstrafe ist in Saudi-Arabien für eine ganze Reihe von Delikten vorgesehen, darunter Hexerei, Homosexualität und Apostasie. Atheisten gelten nach dem neuen saudischen Sicherheitsgesetz als Terroristen.

Raif BadawiDutzende Menschen sitzen wegen „Beleidigung des Islam“ in Haft. Darunter der Menschenrechtsaktivist und Blogger Raif Badawi, der im September 2014 zu 10 Jahren Haft, 1000 Peitschenhieben und einer Geldstrafe von rund 200.000 Euro verurteilt wurde.
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In eigener Sache

Das Buch „Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?“ von Nina Scholz und mir ist soeben im Passagen-Verlag erschienen. Es ist unser Versuch, die Debatte um Islam und Europa vor dem Hintergrund der universalen Menschenrechte zu diskutieren.

 

 

 

 

 

 

 

In 16 Kapiteln setzen wir uns mit verschiedenen Themen und Begriffen auseinander, die diese Debatte wesentlich prägen. Auf die Probleme und Herausforderungen, die Einwanderung aus islamischen Ländern mit sich gebracht hat, haben Politik und Gesellschaft bislang keine angemessene Antwort gefunden – was zur Konsequenz hat, dass immer häufiger jenen das Feld überlassen wird, die mit billigem Populismus gegen Ausländer, Minarette und Kopftücher hetzen, aber auch denjenigen, Weiterlesen

Burka und Niqab sind Symbole des Islamismus

Plädoyer für ein Verbot der Gesichtsverschleierung
von Nina Scholz und Heiko Heinisch

Wien, Stephansplatz, Sommer 2014

Wien, Stephansplatz, Sommer 2014

Am 1. Juli 2014 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Klage einer französischen Muslimin gegen das Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit abgewiesen. Das Tragen von Kleidung, die das Gesicht komplett oder bis auf einen Schlitz für die Augen verbirgt, bleibt in Frankreich verboten. Die Juristen unter den Kritikerinnen und Kritikern des Straßburger Urteils, wie z.B. Heinrich Schmitz und Maximilian Steinbeis, beziehen ihre Kritik vor allem auf das zentrale Argument der Urteilsbegründung: Der Europäische Gerichtshof spricht Staaten das Recht zu, die „Bedingungen des Zusammenlebens“ in der Gesellschaft festzulegen (genauer gesagt: Die Bedingungen dafür festzulegen „to live in a space of socialisation which made living together easier“). In Frankreich, so das Gericht, gehöre ein offen gezeigtes Gesicht zu diesen Bedingungen. Kritiker argumentieren, die Haltung des Gerichts sei nicht aus den Menschenrechten heraus begründbar – was jedoch notwendig sei, da das Vermummungsverbot einen Eingriff in die Menschenrechte darstelle. Dieses Argument verfängt insofern nicht, Weiterlesen