Toleranz

Eine Leseprobe aus dem Buch Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012 von Nina Scholz und mir, mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel „Toleranz“.          (im Buch leider ohne Bilder)

Passagen

In der Folge der Anschläge vom 11. September 2001, die den Islam und das Leben in den islamischen Ländern vom bestenfalls randständigen Thema zum Tagesgespräch machten, ist über die Toleranz des Islam viel gestritten worden. Die einen werden der Wiederholung nicht müde, dass der Islam in Geschichte und Gegenwart eine tolerante und friedliche Religion gewesen sei, während die anderen im Islam und seinem heiligen Buch, dem Koran, den Inbegriff der Intoleranz sehen.

Der Begriff der „Toleranz“ hat im Laufe seiner Geschichte einen erheblichen Wandel erfahren. Im Zuge der Reformation, den ihr folgenden Glaubenskriegen im 16. und 17. Jahrhundert und der beginnenden Aufklärung, wurde der Begriff vom Lateinischen tolerare (= erdulden) ins Deutsche übernommen. Zunächst bedeutete Toleranz nur die Duldung Andersgläubiger als religiöse Minderheit durch die Mehrheit, beziehungsweise durch den Staat, der bis dahin nicht anders als religiös einheitlich vorstellbar gewesen war. Nach der Reformation galt diese Einheit nicht mehr auf Reichsebene, sondern nur noch auf der Ebene der Fürstentümer.[1]

Im Mittelalter war es Juden erlaubt, in einigen Städten zu siedeln; ihr Status war jedoch durch Sondergesetze festgelegt, die den päpstlichen Vorgaben folgten und sie als Fremdkörper in christlicher Umgebung markierten. Es war Papst Innozenz III., der die Ausgrenzung der Juden aus der christlichen Umwelt zur Perfektion trieb und den Juden den Weg ins Ghetto wies. Auf dem von ihm geleiteten IV. Laterankonzil wurde 1215 beschlossen, dass Christen keine Juden heiraten durften, dass Juden als Zeichen ihrer Stigmatisierung bestimmte Kleidung zu tragen hatten und zu bestimmten christlichen Festen (zum Beispiel in der Karwoche) nicht auf die Straße gehen durften.[2] Weiterlesen

Kann denn Liebe Sünde sein?

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Die Woche begann mit zwei Schlagzeilen:

„Vatikan empört über Homo-Eltern“

„Großdemo gegen Homo-Ehe“[1]

Der erste Artikel beschreibt die vatikanische Empörung über ein in Italien vom Obersten Gericht gefälltes Urteil, nach dem auch homosexuelle Paare Kinder großziehen dürfen. „Dieses Urteil ist destruktiv, überraschend und gefährlich“, beklagt sich der Familienminister des Vatikan, Bischof Vicenzo. Der zweite Artikel berichtet von der Großdemonstration gegen die in Frankreich von Präsident Holland in Aussicht gestellte Möglichkeit der Ehe von homosexuellen Paaren, inklusive der Möglichkeit, Kinder zu adoptieren. Unter den Organisatoren der Demonstration: Die Katholische Kirche. Deren Vertreter bezeichnen gleichgeschlechtliche Partnerschaften in kriegsrhetorischer Diktion als “schwere Verletzung der Gerechtigkeit und des Friedens” und als “Anschlag auf die Familie“.[2] Homosexualität laufe „dem natürlichen Sittengesetz“ zuwider. Nach wie vor ist Sexualität das große Thema der Katholischen Kirche. Ob es um Aidsprävention geht (Ablehnung von Kondomen), um vor- oder außerehelichen Sex oder Homosexualität – es gibt nur ein erlaubtes Modell einer „sündenfreien“ Sexualität: Heterosexueller Sex zwischen Ehepartnern zum Zweck der Fortpflanzung. Alles andere – und insbesondere Homosexualität – wird verdammt und als schwere moralische Verfehlung und Gefahr für die Gesellschaft denunziert. Die Katholische Kirche lehnt das Selbstbestimmungsrecht des Menschen und damit einen Teil der Menschenrechte im Namen einer „höheren“ Moral und Wahrheit ab. Weiterlesen

Der Zweifrontenmeinungskrieg: In der politischen Mitte weht ein rauer Wind

Ein Gastbeitrag von André Krause – ein Plädoyer für den offenen Umgang mit anderen Meinungen und die Bereitschaft zum Kompromiss als Grundlage von offener Gesellschaft und Demokratie

Das Jahr 2012 hat mich in politischer Hinsicht mehrfach auf die Probe gestellt. Ich habe gelernt, dass in der Mitte ein besonders rauer Wind weht. Und auch die kreativsten Geister können sich nicht ausmalen, welche argumentativen Absurditäten mitunter als „legitime Meinung“ gekennzeichnet werden. Nun ja, Schwachsinn steht in einer Demokratie aus guten Gründen nicht auf dem Index.

Wer regelmäßig durch die sozialen Netzwerke oder die Blogosphäre surft, wird mir vermutlich beipflichten. Viele Diskutanten, Kommentatoren und Autoren schlagen ihre virtuellen Zelte an den entlegensten Winkeln des Meinungsspektrums auf. Einige von ihnen dürften auf ihren Abwegen mittlerweile absolutes Neuland betreten haben. Terra incognita. Statt „Reichtum für alle“ lautet die neue Parole „Ein Königreich für jeden“. Die Verlockung ist aber auch enorm: Irgendwo auf dieser Welt gibt es für jeden einen paradiesisch anmutenden Ort, an dem keiner mehr widerspricht, an dem Fakten nur noch eine Meinung sind und das eigene Wort Gesetz ist. Ein Ort, an dem die Realität mit verbissener Leidenschaft abgebloggt wird. Ein paar fanatische Gefolgsleute a.k.a. notorische Ja-Sager streicheln das Ego.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die (scheinbaren) Kontrahenten einander nur noch schemenhaft durch das Fernglas erkennen Weiterlesen

Ägypten – Scharia und Menschenrechte für alle?

Die meisten Kommentatoren der vergangenen zwei Jahre waren sich einig: Die Muslimbruderschaft sei längst keine radikal islamistische Gruppe mehr, sondern habe sich zu einer moderaten, gewaltfreien und demokratischen Partei gewandelt. Was auch immer die entsprechenden Kommentatoren zu dieser Einschätzung veranlasst hatte – in erster Linie wohl Wunschdenken –, sie sollten in den letzten Wochen eines Besseren belehrt worden sein. Das Vorgehen der Muslimbruderschaft rund um den ägyptischen Verfassungsentwurf zeigt deutlich, dass die Partei von jener politischen Agenda, derentwegen sie vor knapp 100 Jahren gegründet wurde, nicht abgewichen ist. Ihr Ziel war von Anfang an ein Staat, dessen Verfassung auf Koran und Sunna aufbaut und dessen Gesetz die Scharia ist. So nah wie heute war die Bruderschaft der Macht in ihrer gesamten Geschichte nicht. Und an ihrer Entschlossenheit, diese für eine Islamisierung Ägyptens zu gebrauchen, kann nicht gezweifelt werden. Gezielt arbeiten Präsident Mohammed Mursi und die Bruderschaft auf einen grundlegenden Wandel der ägyptischen Gesellschaft hin, dessen Ergebnis – so viel steht heute schon fest – kein pluralistischer und demokratischer Staat sein würde.

Wenn die Muslimbruderschaft moderater wirkt, als die mit ihr verbündeten Salafisten, dann nur, weil ihr Islamismus zukunftsorientiert ist. Die Bruderschaft will nicht zurück ins 8. Jahrhundert; sie will einen modernen islamistischen Staat. Ihr Vorbild ist nicht das Afghanistan der Taliban, sondern eher eine sunnitische Variante des iranischen Gottesstaates. In diese Richtung weist auch der in der neuen Verfassung festgeschriebene Plan, Teile der Gesetzgebung von den religiösen Rechtsgelehrten der Al-Azhar-Universität vor Inkrafttreten auf ihre Scharia-Konformität prüfen zu lassen (Artikel 4). Weiterlesen

Mohammed-Schmähungen und Antisemitismus

Die Meinungsfreiheit wird immer wieder in Frage gestellt, wenn irgendwo auf der Welt extremistische Muslime gegen tatsächliche oder behauptete Schmähungen und Verspottungen ihrer Religion zum Mittel des gewaltsamen Protests greifen. Nach dem Mohammed-Video, das Extremisten pünktlich zum 11. September aus einem dunklen Eck des Internets geborgen hatten, tauchte in diversen Foren und auf Kommentarseiten ein neuer Vorwurf im Zusammenhang mit Kritik oder Spott gegenüber dem Islam auf: Gegen Muslime dürfe man im Namen der Meinungsfreiheit hetzen, während Antisemitismus verboten sei. Oder in abgewandelter Form: Antisemitismus sei verboten, aber Islamophobie müssten Muslime hinnehmen. Der Ministerpräsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, verwies darauf, dass die Türkei den Antisemitismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebrandmarkt habe, während zur Islamophobie im Westen geradezu ermuntert werde.

Ist dieses Argument wirklich schlüssig? Und lassen sich ein Schmähfilm auf Mohammed (oder Karikaturen) und Antisemitismus vergleichen? Weiterlesen

Das Individuum steht im Mittelpunkt

Der Blogger André Krause hat mit Nina Scholz und mir ein Interview zu unserem Buch “Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?” geführt, das er gestern auf seinem Blog “Union 21 – für ein freiheitliches deutschland. gegen extremisten jeglicher couleur.” veröffentlicht hat.

Es findet sich hier: http://blog.union21.de/?p=726

 

Der Islam und Deutschland

Zum Islam, so scheint es, kann ein deutscher Politiker nichts sagen, ohne dass von irgendeiner Seite ein Sturm der Entrüstung losgetreten wird. Diesmal trifft es wieder einmal einen Bundespräsidenten, doch es verwundert, aus welcher Richtung die Empörung kommt. In Anerkennung der Worte seines Vorgängers, der bekanntlich erklärt hatte, „der Islam gehört zu Europa“, sagte Gauck in einem Interview in der Zeit: „Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.“

Cem Özdemir, Parteichef der deutschen Grünen befand daraufhin, er könne die Differenzierung zwischen Islam und gläubigen Muslimen nicht nachvollziehen. Wenn die in Deutschland lebenden Muslime zu Deutschland gehörten, dann auch der Islam, den sie mitgebracht hätten. In Deutschland leben mittlerweile auch 250.000 bekennende Buddhisten, Weiterlesen

Ohne Glaubensfreiheit gibt es keine Freiheit

Im Jahr 2008 startete der damals 18 jährige Marokkaner Kacem El Ghazzali einen Blog. Er glaubte nicht an Gott und hatte in seinem Berber-Dorf in Marokko niemanden, dem er sich mitteilen, mit dem er seine Gedanken und Ideen besprechen konnte, also wollte er sie anonym der Welt mitteilen. Doch schon bald wurde er enttarnt und erhielt fortan Morddrohungen. In seiner Verzweiflung wandte er sich an die Medien und gab im Oktober 2010 einem arabisch-sprachigen französischen Fernsehsender ein Interview. Daraufhin wurde er im Dorf isoliert, „Freunde“ begleiteten ihn nicht mehr zur Schule und niemand kam ihn mehr besuchen. Selbst Teile seiner Familie stellten sich gegen ihn – niemand im Dorf konnte oder wollte ihn, den Atheisten, verstehen. Die Todesdrohungen nahmen weiter zu, in der Schule wurde er vom Direktor zusammengeschlagen und von Mitschülern mit Steinen beworfen. Der Imam des Dorfes warnte die Gläubigen vor Kacem El Ghazzali und selbst in Marrakesch verurteilten ihn Imame in ihren Predigten. Er flüchtete daraufhin aus dem Dorf, tauchte in Städten unter und bat schließlich in der Schweizer Botschaft um Hilfe. Mit einem Visum Weiterlesen