Mohammed-Schmähungen und Antisemitismus

Die Meinungsfreiheit wird immer wieder in Frage gestellt, wenn irgendwo auf der Welt extremistische Muslime gegen tatsächliche oder behauptete Schmähungen und Verspottungen ihrer Religion zum Mittel des gewaltsamen Protests greifen. Nach dem Mohammed-Video, das Extremisten pünktlich zum 11. September aus einem dunklen Eck des Internets geborgen hatten, tauchte in diversen Foren und auf Kommentarseiten ein neuer Vorwurf im Zusammenhang mit Kritik oder Spott gegenüber dem Islam auf: Gegen Muslime dürfe man im Namen der Meinungsfreiheit hetzen, während Antisemitismus verboten sei. Oder in abgewandelter Form: Antisemitismus sei verboten, aber Islamophobie müssten Muslime hinnehmen. Der Ministerpräsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, verwies darauf, dass die Türkei den Antisemitismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebrandmarkt habe, während zur Islamophobie im Westen geradezu ermuntert werde.

Ist dieses Argument wirklich schlüssig? Und lassen sich ein Schmähfilm auf Mohammed (oder Karikaturen) und Antisemitismus vergleichen?

Nirgends in der islamischen Welt ist Antisemitismus verboten. Seit nunmehr 100 Jahren erfreuen sich dort  Werke wie „Mein Kampf“, „Die Protokolle der Weisen von Zion“ oder Henry Fords „The International Jew, the World’s Foremost Problem“ ihres Bestsellerstatus und antisemitische Verschwörungstheorien höchster Beliebtheit. Aber auch in Deutschland oder Österreich ist mir kein Gesetz bekannt, das Antisemitismus unter Strafe stellt. Einzig die Leugnung des Völkermords an den Juden steht unter Strafe. Über die Sinnhaftigkeit dieses Gesetzes könnte man durchaus diskutieren. Zum Straftatbestand wird Antisemitismus dann, wenn die Merkmale der Volksverhetzung erfüllt sind (in Deutschland §130 StGB):

Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt– oder Willkürmaßnahmen auffordert oder

2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,

wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Ähnlich lautet der österreichische §283 StGB. Diese Gesetze gegen Verhetzung richten sich keineswegs nur gegen antisemitische Äußerungen, sondern gegen alle Äußerungen, die geeignet sind, einen Teil der Bevölkerung gegen einen anderen Teil aufzuhetzen. Um strafrechtlich relevant zu sein, muss Antisemitismus sich gegen Menschen richten, oder wie es der ehemalige Staatsanwalt und Professor für Rechtsgeschichte an der Universität Zürich, Karl S. Bader, ausdrückt: „Immer muss gegen eine Person oder Personengemeinschaft gehandelt sein, die an Leben, Leib, Gut oder Ehre angegriffen, verletzt worden ist. Wir können den bestrafen, der einen Menschen getötet, verletzt, beraubt oder bestohlen, betrogen, beleidigt hat.“[i] Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, hinkt der Vergleich zwischen einer Verspottung Mohammeds (ob in Wort, Bild oder Film) und antisemitischen Äußerungen. Antisemitismus richtet sich gegen Menschen, die als Juden identifiziert werden. Er verspottet und beleidigt sie unmittelbar, bis hin zur Verhetzung und Gewalt. Eine Mohammed-Karikatur verspottet einzig eine Religion und ihre Symbole. Das ist ein Unterschied ums Ganze. Antisemitismus stachelt zu Hass auf Menschen auf. Die Verspottung eines Glaubenssystems hingegen richtet sich, wie geschmacklos auch immer sie im Einzelnen ausfallen mag, nicht unmittelbar gegen Menschen, sondern gehört im weitesten Sinne in eine lange Tradition (oft genug auch gegeneinander vorgebrachter) religionskritischer und verhöhnender Darstellungen, die jede Religion oder Weltanschauung in einer multireligiösen und pluralistischen Gesellschaft ertragen muss. Gläubige mögen sich von Spott gegenüber ihrer Religion subjektiv beleidigt fühlen, aber diese subjektiv empfundene Beleidigung kann kein Richtmaß dafür sein, was erlaubt und was verboten ist. „Verletzte Gefühle sind als Rechtsgut untauglich. Wer sollte sie messen?“[ii] Selbst bei einer persönlichen Beleidigung gehen Gerichte daher nicht der Frage nach, ob die betreffende Person sich beleidigt fühlt, sondern ob objektiv eine Beleidigung vorliegt.

Ein mit dem Antisemitismus vergleichbarer Angriff auf Muslime findet sich in diversen Verschwörungstheorien, die in rechten Kreisen zirkulieren, wie etwa im Vorwurf, Muslime würden Taqiyya betreiben, also sich gegenüber Andersgläubigen gezielt verstellen und lügen. Diese Praxis sei Muslimen, so der muslimfeindliche Vorwurf, nicht nur vom Koran erlaubt, sondern geradezu vorgeschrieben. Darauf baut in der Folge der Vorwurf auf, Muslime (alle Muslime!) würden gezielt die Staaten Europas unterwandern, um sie schließlich zu übernehmen und uns alle unter das Recht der Scharia zu zwingen. Hier wird, wie in vielen anderen antimuslimischen Vorwürfen, Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Glaubens eine bestimmte, allgemein verpönte Handlung unterstellt. Dieser muslimfeindliche Diskurs stellt – wie der antisemitische – einen Angriff auf die Würde und letztlich auf die physische Anwesenheit von Menschen dar.

Die Verspottung Mohammeds hingegen entspricht einer ebensolchen von Figuren der jüdischen Tradition, also etwa einer Verspottung Moses oder Noahs – und diese existiert massenhaft in Form von Karikaturen (siehe hier, hier und hier) oder etwa im Film Die Zehn Gebote von Robert Dornhelm, in dem er Moses als ersten Fundamentalisten und Wahnsinnigen zeigt, der Stimmen hört und einen großen Teil seiner Gefolgschaft ermordet. Statt Empörung auszulösen, erhielt Dornhelm für diesen Film einen Preis, was ihn allerdings selbst verwunderte.[iii] Wir nennen diese Form des Spottes denn auch nicht Antisemitismus, denn sie richtet sich nicht gegen Juden, sondern gegen Bestandteile des jüdischen Glaubens. Dieser wesentliche Unterschied wird im Falle des Islam und Mohammeds nicht erkannt oder bewusst geleugnet. Die Verwirrung bei der Wahrnehmung von Kritik oder Spott gegenüber einem Glaubenssystem und Spott oder Hass auf Menschen ist sicher auch der Verschwommenheit des Begriffs „Islamophobie“ geschuldet, der beide Diskurse miteinander vermengt und unterschiedslos sowohl muslimfeindliche Aussagen als auch Religionskritik in sich vereint. Um Feindschaft gegenüber Menschen muslimischen Glaubens zu erfassen, sollte man daher besser auf den Begriff Muslimfeindschaft zurückgreifen.

Eine Verspottung von Moses oder Noah ist eine Verspottung von Moses oder Noah und kein Antisemitismus, und eine Verspottung von Mohammed ist eine Verspottung von Mohammed und keine antimuslimische Hetze.



[i]Karl S. Bader, Strafrechtlicher Schutz gegen Antisemitismus, Freiburger Rundbrief.

[iii]Siehe: ebd., S. 83