Blasphemiegesetze? Part II

In meinem ersten Beitrag zu  Blasphemiegesetzen vor sechs Wochen ging es mir vor allem um die Ungleichbehandlung von religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen. War die Diskussion damals noch abstrakt, bekommt sie aktuell dadurch eine neue Dimension, dass Politiker über schärfere Gesetze zur Ahndung von Blasphemie diskutieren. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Johannes Singhammer, hält eine Zeit brennender Botschaften für geeignet, dem deutschen Bundestag ein neues, altes und verschärftes Blasphemiegesetz vorzulegen (Es wurde bereits im Jahr 2000 vorgelegt und abgelehnt). Ginge es nach ihm, sollte der Bezug auf den „öffentlichen Frieden“ aus dem § 166 StGB wieder gestrichen werden, wodurch fortan jede öffentliche Beschimpfung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses strafbar wäre. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Martin Schulz, steht ihm nicht nach und fordert in einer Rede mit Blick auf den Mohammed-Film, der seit 2 Wochen die Welt beschäftigt, “dass diese Art von blasphemischen Filmen verurteilt werden muss.“ Beide schließen sich damit einer langjährigen Forderung der OIC (Organisation für islamische Zusammenarbeit) an, ein internationales Verbot der „Diffamierung von Religionen“ zu beschließen.

Aber abgesehen vom Zeitpunkt und den fragwürdigen Verbündeten in dieser Sache stellt sich die Frage, ob Blasphemiegesetze an sich sinnvoll und berechtigt sind? Nach Singhammers Vorstellung soll die Beschimpfung jedes Bekenntnisses unter Strafe gestellt werden. Da wir in einer multireligiösen, pluralistischen Gesellschaft leben, würde das bereits im normalen interreligiösen Umgang Probleme aufwerfen. Ein Atheist, der bekanntlich nicht an Gott glaubt, wird logischerweise auch bestreiten, dass es Söhne oder Propheten Gottes gibt. Würde er dies öffentlich kund tun, geriete er zumindest in die Nähe von Blasphemie; ginge er einen Schritt weiter und würde ausführen, was er dieser Logik weiter folgend, von einem Menschen hält, der behauptete, ein Prophet Gottes zu sein (entsprechende Polemiken finden sich zuhauf), müsste er wohl ernsthaft mit einer Verurteilung rechnen. Das Problem betrifft natürlich nicht nur Atheisten. Ein Muslim glaubt bekanntlich nicht an eine Gottessohnschaft, sondern sieht in Jesus lediglich einen Propheten und in Maria demnach auch keine Gottesmutter. Würde er nun öffentlich verkünden, „Jesus ist nicht der Sohn Gottes! Gott hatte keinen Sohn, denn Gott ist nur einer!“, geriete er damit zumindest in die Nähe der Blasphemie; ginge er noch einen Schritt weiter und würde ausführen, was er von denen hält, die an einen Sohn Gottes glauben (entsprechende Polemiken finden sich in Geschichte und Gegenwart zuhauf), müsste auch er wohl mit einer Verurteilung rechnen. Man könnte das beliebig fortsetzen: Ein Jude, der öffentlich verkündet, die Kaaba in Mekka sei ganz sicher nicht von Abraham erbaut, würde Gefahr laufen, die Gefühle mancher Muslime zu verletzen oder mit der Behauptung, Jesus sei mitnichten der erwartete Messias gewesen, manchem Christen zu nahe treten. Das gleiche gilt wohl für Muslime, die Juden oder Christen vorwerfen, ihre heiligen Schriften verfälscht zu haben und allein der Koran sei das unverfälschte Wort Gottes. Die Beispiele zeigen, dass das, was den einen „das Liebste“ ist, den anderen ein Ärgernis oder ein Grund für Spott sein kann. Bei den weltanschaulichen Bekenntnissen, die Singhammer, dem Grundsatz der Gleichbehandlung folgend, einbezieht, wird die Absurdität vielleicht noch besser sichtbar. Ist der Satz: „Karl Marx war ein geiler Bock, der Geld seiner bourgeoisen Freunde und Sex mit seinen Haushälterinnen nicht abgeneigt war“ blasphemisch im Sinne Singhammers? In Deutschland gibt es dutzende (wenn nicht hunderte) religiöse und weltanschauliche Bekenntnisse, die sich notgedrungen untereinander widersprechen und die schon allein durch ihr Vorhandensein die Gefühle der Gläubigen eines anderen Bekenntnisses verletzen könnten, wenn diese sich nur genügend hineinsteigern.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass am Ursprung des Blasphemievorwurfs nicht etwa die Verletzung der Gefühle von Gläubigen eine Rolle spielte, sondern allein die Missachtung der (staatlichen) Kultgemeinschaft. Bereits das Römische Recht kannte das Vergehen der Blasphemie. Das mag auf den ersten Blick verwundern, konnten doch die Römer bekanntlich so ziemlich jeden fremden Kult in ihren Götterhimmel einbinden. Aber neben diesem vielschichtigen und heterogenen Götterhimmel gab es einen Staatskult, der in der Kaiserzeit neben den obersten Göttern dann auch verstorbene, gelegentlich auch noch lebende Kaiser in den Götterhimmel einbezog. Die Leugnung der Götter und die Verweigerung des Staatskultes wurden als Gefährdung der staatlichen Ordnung betrachtet, beides war suspekt und befand sich in der Nähe des Hochverrats. Davon betroffen waren immer wieder Juden, später auch Christen, die neben der Verehrung ihres einen Gottes jegliche Verehrungskulte für andere Götter ablehnten. Damit stellten sie sich außerhalb der (Kult-)Gemeinschaft der römischen Bürger. Auch während des christlichen Mittelalters kam Blasphemie, jetzt als Ablehnung oder Verunglimpfung Gottes und seines Kultes verstanden, einer Abkehr von der Gemeinschaft der Gläubigen gleich, die darüber hinaus als potentielle Gefährdung dieser Gemeinschaft aufgefasst wurde, da man davon ausging, der durch den Akt der Blasphemie hervorgerufene Zorn Gottes träfe die Gemeinschaft als Ganze. Um diesen Zorn abzuwenden und Gott wieder zu besänftigen, musste der Lästerer bestraft werden. Nach der Reformation wurde Gotteslästerung zum Kampfbegriff zwischen den christlichen Konfessionen. Auch hier geriet Blasphemie zum Hochverrat, denn wer das Bekenntnis des eigenen Staates ablehnte, machte sich sogleich verdächtig, die Gegenseite zu unterstützen und die Gesellschaft zu unterminieren. Ähnliches beobachten wir heute in der islamischen Welt, wenn sich Anhänger der verschiedenen islamischen Bekenntnisse gegenseitig des Abfalls vom „wahren“ Glauben bezichtigen, Abtrünnige geächtet oder in einigen Ländern sogar mit der Todesstrafe bedroht werden. Das sind Reaktionen kollektivistischer Gesellschaften, die sich auch als Kultgemeinschaften (um bei dem Wort zu bleiben) verstehen und die Loyalität von Menschen, die nicht dem staatlichen, beziehungsweise dem Mehrheitsbekenntnis angehören, in Frage stellen. Andersgläubige gelten meist als suspekt, während Apostaten als Verräter gelten. Der Glaubenswechsel wird hier nicht als individuelles Bekenntnis verstanden, sondern als Affront gegenüber der Gemeinschaft.

Mit der Aufklärung wurde eine Entwicklung eingeleitet, durch die das religiöse Bekenntnis als konstituierend für die staatliche Gemeinschaft zunehmend in den Hintergrund trat. Die Gesellschaft begriff sich nicht länger als Kultgemeinschaft. Dadurch veränderte sich auch die Bedeutung von Blasphemie, weg von der Gefährdung der Gemeinschaft, hin zu einer öffentlichen Beleidigung eines Glaubens oder seiner Symbole, mithin der Gefühle der Gläubigen. Für solche Emotionalien sollte in einer modernen, multireligiösen und pluralistischen Gesellschaft jedoch nicht das Strafgesetz bemüht werden. Beleidigung von Menschen, Hetze oder Aufrufe zur Gewalt gegen Gläubige und ihre Einrichtungen werden durch bestehende Gesetze bereits geahndet. Dafür bedarf es keines Blasphemieparagraphen und schon gar nicht dessen Verschärfung. Blasphemiegesetze sind Relikte aus vormodernen, kollektivistischen und in der Regel monoreligiösen Gesellschaften; in modernen Gesellschaften haben sie ihre Funktion längst verloren und sollten dementsprechend ersatzlos gestrichen werden.