Islamischer Staat und Islam

In The European erschien die gekürzte Fassung dieses Artikels. Hier die etwas ausführlichere und wie ich hoffe anschaulichere Version.

Am 26. August dieses Jahres sagte Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), in der ZDF-Sendung „Menschen bei Maischberger“, der IS habe nichts mit dem Islam zu tun. Ein Satz, der in den letzten Monaten häufig zu hören ist – insbesondere von Seiten der europäischen Islamverbände. So schreibt die Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) in einer Presseaussendung, IS pervertiere die Religion, und appelliert „an die Öffentlichkeit, diesen Terror nicht mit ‚dem Islam‘ zu verbinden“.Mazyek Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass es das Regime Assads gewesen sei, das IS groß gemacht habe. Noch einen Schritt weiter geht Yasmin Fahimi, Generalsekretärin der SPD. Sie fordert, dass der IS in der öffentlichen Debatte nicht mehr als „radikal islamisch“ bezeichnet werden solle, da dies – also die Zuschreibung von außen, nicht die Selbstbezeichnung! – die Muslime beleidige.

Es gibt keinen einzigen islamischen Staat und kaum eine islamische Organisation, die sich nicht vom IS und seinen Gräueltaten distanzieren. Das Motiv dahinter ist jedoch nicht unbedingt ein anderes Islamverständnis. Weiterlesen

Burka und Niqab sind Symbole des Islamismus

Plädoyer für ein Verbot der Gesichtsverschleierung
von Nina Scholz und Heiko Heinisch

Wien, Stephansplatz, Sommer 2014

Wien, Stephansplatz, Sommer 2014

Am 1. Juli 2014 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Klage einer französischen Muslimin gegen das Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit abgewiesen. Das Tragen von Kleidung, die das Gesicht komplett oder bis auf einen Schlitz für die Augen verbirgt, bleibt in Frankreich verboten. Die Juristen unter den Kritikerinnen und Kritikern des Straßburger Urteils, wie z.B. Heinrich Schmitz und Maximilian Steinbeis, beziehen ihre Kritik vor allem auf das zentrale Argument der Urteilsbegründung: Der Europäische Gerichtshof spricht Staaten das Recht zu, die „Bedingungen des Zusammenlebens“ in der Gesellschaft festzulegen (genauer gesagt: Die Bedingungen dafür festzulegen „to live in a space of socialisation which made living together easier“). In Frankreich, so das Gericht, gehöre ein offen gezeigtes Gesicht zu diesen Bedingungen. Kritiker argumentieren, die Haltung des Gerichts sei nicht aus den Menschenrechten heraus begründbar – was jedoch notwendig sei, da das Vermummungsverbot einen Eingriff in die Menschenrechte darstelle. Dieses Argument verfängt insofern nicht, Weiterlesen

Antisemitismus und Palästina-Solidarität

Selbstverständlich darf man Israel kritisieren – jene, die das Gegenteil behaupten, tun es unausgesetzt und ohne, dass ihnen bisher etwas geschehen wäre. Und selbstverständlich ist nicht jede Kritik an Israel antisemitisch – auch wenn der Grat zwischen Kritik und Antisemitismus ein sehr schmaler ist. Den so offensichtlich anderen Maßstab, der bei der Bewertung Israels im Verhältnis zu allen anderen Staaten und des Nahost-Konflikts zu allen anderen Konflikten dieser Welt angelegt wird, würde ich noch nicht umstandslos antisemitisch nennen, auch wenn ich mich immer wieder wundere: Als

Essen, 18.7.

Essen, 18.7.

die russische Regierung Tschetschenien in Grund und Boden bomben ließ, fanden sich keine Friedensdemonstranten. Auch die Bombardements ganzer Städte in Syrien durch Assads Militär lockten keine Massen von Demonstranten auf die Straße. Und dass aktuell die Terrorgruppe Isis in Syrien und dem Irak Gegner und Andersgläubige abschlachtet oder Boko Haram den Norden Nigerias mit Terror überzieht, ruft ebenfalls keine großen Proteste hervor. Weiterlesen

Schule ohne Rassismus?

In einem Artikel in der Welt kritisierte Alan Posener unlängst das aktuelle Themenheft „Rassismus erkennen & bekämpfen“ des Netzwerks Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Der Geschäftsführer des Netzwerks, Eberhard Seidel, reagierte auf diese Kritik mit einem längeren Kommentar. Als ich ihn darauf hinwies, dass seine Ausführungen an der Kritik Poseners vorbeigehen, bot er mir an, mir dieses Themenheft (und einige weitere) zuzusenden, damit ich die inkriminierten Stellen im Zusammenhang lesen und mir selbst ein Bild machen könne. Das habe ich getan. Weiterlesen

Das antiamerikanische Ressentiment

Neben Israel existiert nur ein weiterer Staat, bei dem Regierungspolitik und Bevölkerung umstandslos in eins gesetzt werden: Die Vereinigten Staaten von Amerika. Wie sich in den aktuellen Debatten um die Abhörprogramme der NSA neuerlich zeigt, kippt die durchaus berechtigte Kritik an der US-Außenpolitik oder den US-Geheimdiensten immer wieder schnell in ein Vorurteil gegen DIE Amerikaner im allgemeinen um. So schreibt etwa Jakob Augstein auf S.P.O.N.: „Die Amerikaner überwachen rund 500 Millionen deutsche Datenverbindungen im Monat, sie behandeln uns wie einen Feind.“[1] Dass Die Amerikaner unsere Feinde sind – mit dieser Sicht steht Jakob Augstein nicht alleine, dieses Ressentiment hat eine große einende Kraft, die Menschen von links bis rechts zusammenführt. Wirft man einen Blick in die einschlägigen Foren, geht es kaum noch um NSA und PRISM, sondern um die „Amis“, die wahlweise als „bösartig“, „barbarisch“, „dekadent“, „oberflächlich“ oder „kulturlos“  und „dumm“ beschrieben werden – meist alles zugleich. Das berüchtigte Zitat von Georges Clemenceau „Amerika, das ist die Entwicklung von der Barbarei zur Dekadenz ohne den Umweg über die Kultur“ wird allenthalben gerne und mit genussvoller Süffisanz zitiert. Weiterlesen

Der Begriff Islamophobie

Eine Leseprobe aus unserem Buch: Heiko Heinisch; Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien, Passagen Verlag 2012. Mit freundlicher Genehmigung des Passagen Verlags: Das Kapitel „Der Begriff Islamophobie“.

Der Terminus Islamophobie ist eine Wortneuschöpfung der angelsächsischen Soziologie der 1990er Jahre. Der Begriff operiert mit einer aus der Psychologie stammenden Definition irrationaler Angstzustände: Als Phobie oder phobische Störung wird eine krankhafte, unbegründete und anhaltende Angst vor Situationen, Gegenständen, Tätigkeiten, Tieren oder Personen bezeichnet. Der erste Teil der Wortverbindung benennt den jeweiligen Auslöser dieser Angst, der in Verbindung mit dem Wort Phobie ein Krankheitsbild bezeichnet – zum Beispiel Arachnophobie (griechisch Arachno=Spinne), die Angst vor Spinnen oder Klaustrophobie (lateinisch claustrum=Käfig), die Angst vor engen Räumen. Der Auslöser einer Phobie ist demnach wertfrei; etwas, das für sich genommen nicht bedrohlich ist, aber bei der betroffenen Person Angst bis hin zu Panikattacken auslöst und deshalb in der Psychologie als Krankheitsbild beschrieben wird. Die Begriffsverbindung Islamophobie würde demgemäß eine krankhafte, weil unbegründete, Angst vor dem Islam bezeichnen. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass Religionen, Weltanschauungen, Ansichten, wissenschaftliche Theorien, kurz, jegliche Denk- und Vorstellungskomplexe nicht wertfrei sind. Sie rufen naturgemäß entweder Anerkennung/Zustimmung oder Kritik/Ablehnung hervor und sind somit von vornherein Auslöser von Diskussion und Wertung. Wir sprechen zu Recht nicht von Christentumsphobie, wenn Menschen die christliche Lehre und Kirchenpolitik kritisieren oder gar bekämpfen. Die Ablehnung der Evolutionstheorie, die mit dem Versuch einhergeht, Darwins Lehre aus dem Schulunterricht zu verbannen, wird nicht mit dem Begriff Evolutionsphobie beschrieben, ebenso wenig wird Kritik an oder Angst vor dem Kommunismus oder Kapitalismus als Phobie bezeichnet, und sei sie noch so emotional vorgetragen. Weiterlesen

Der Zweifrontenmeinungskrieg: In der politischen Mitte weht ein rauer Wind

Ein Gastbeitrag von André Krause – ein Plädoyer für den offenen Umgang mit anderen Meinungen und die Bereitschaft zum Kompromiss als Grundlage von offener Gesellschaft und Demokratie

Das Jahr 2012 hat mich in politischer Hinsicht mehrfach auf die Probe gestellt. Ich habe gelernt, dass in der Mitte ein besonders rauer Wind weht. Und auch die kreativsten Geister können sich nicht ausmalen, welche argumentativen Absurditäten mitunter als „legitime Meinung“ gekennzeichnet werden. Nun ja, Schwachsinn steht in einer Demokratie aus guten Gründen nicht auf dem Index.

Wer regelmäßig durch die sozialen Netzwerke oder die Blogosphäre surft, wird mir vermutlich beipflichten. Viele Diskutanten, Kommentatoren und Autoren schlagen ihre virtuellen Zelte an den entlegensten Winkeln des Meinungsspektrums auf. Einige von ihnen dürften auf ihren Abwegen mittlerweile absolutes Neuland betreten haben. Terra incognita. Statt „Reichtum für alle“ lautet die neue Parole „Ein Königreich für jeden“. Die Verlockung ist aber auch enorm: Irgendwo auf dieser Welt gibt es für jeden einen paradiesisch anmutenden Ort, an dem keiner mehr widerspricht, an dem Fakten nur noch eine Meinung sind und das eigene Wort Gesetz ist. Ein Ort, an dem die Realität mit verbissener Leidenschaft abgebloggt wird. Ein paar fanatische Gefolgsleute a.k.a. notorische Ja-Sager streicheln das Ego.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass die (scheinbaren) Kontrahenten einander nur noch schemenhaft durch das Fernglas erkennen Weiterlesen

Nachhaltigkeit und „Generationengerechtigkeit“

Seit Beginn der 1980er Jahre hat der Begriff der Nachhaltigkeit eine erstaunliche Karriere absolviert: Ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammend, meinte der Begriff zunächst, dass stets nur so viele Bäume geschlagen werden sollten, wie auch nachwachsen können, um den Fortbestand der forstwirtschaftlichen Nutzung zu gewährleisten. In großen Schritten entwickelte er sich gegen Ende des letzten Jahrhunderts zu einem Kampfbegriff der politischen Diskussion, auf den heute kaum eine Partei, und kaum ein Konzern verzichten will und kann. Damit einher ging allerdings eine Verschiebung der Bedeutung: Die mittelfristige Zukunft, die in der Forstwirtschaft Ziel der nachhaltigen Nutzung von Wäldern war, wurde auf künftige Generationen ausgedehnt.

In seinem 1979 erschienen Hauptwerk Das Prinzip Verantwortung argumentierte der Philosoph Hans Jonas, dass die Menschen Verantwortung für die Zukunft zu tragen hätten, weil die modernen technischen Möglichkeiten sie zu weitreichenden Zerstörungen befähigten. In diesem Sinne definierte der sogenannte Brundtland-Bericht Our Common Future der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung Weiterlesen

Der zerstörte Traum

Nach vielen Jahren ist mir unlängst wieder ein Buch in die Hände gefallen, das hiermit wärmsten empfohlen sei: Joachim Fest, Der zerstörte Traum. Vom Ende des utopischen Zeitalters, Berlin 1991.

Zwei Jahre nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Experiments in Osteuropa verfasste Joachim Fest diese kleine Schrift; ein Essay, in dem er einen großen Bogen spannt von den frühen literarischen Utopien eines Weiterlesen