Ägypten – Scharia und Menschenrechte für alle?

Die meisten Kommentatoren der vergangenen zwei Jahre waren sich einig: Die Muslimbruderschaft sei längst keine radikal islamistische Gruppe mehr, sondern habe sich zu einer moderaten, gewaltfreien und demokratischen Partei gewandelt. Was auch immer die entsprechenden Kommentatoren zu dieser Einschätzung veranlasst hatte – in erster Linie wohl Wunschdenken –, sie sollten in den letzten Wochen eines Besseren belehrt worden sein. Das Vorgehen der Muslimbruderschaft rund um den ägyptischen Verfassungsentwurf zeigt deutlich, dass die Partei von jener politischen Agenda, derentwegen sie vor knapp 100 Jahren gegründet wurde, nicht abgewichen ist. Ihr Ziel war von Anfang an ein Staat, dessen Verfassung auf Koran und Sunna aufbaut und dessen Gesetz die Scharia ist. So nah wie heute war die Bruderschaft der Macht in ihrer gesamten Geschichte nicht. Und an ihrer Entschlossenheit, diese für eine Islamisierung Ägyptens zu gebrauchen, kann nicht gezweifelt werden. Gezielt arbeiten Präsident Mohammed Mursi und die Bruderschaft auf einen grundlegenden Wandel der ägyptischen Gesellschaft hin, dessen Ergebnis – so viel steht heute schon fest – kein pluralistischer und demokratischer Staat sein würde.

Wenn die Muslimbruderschaft moderater wirkt, als die mit ihr verbündeten Salafisten, dann nur, weil ihr Islamismus zukunftsorientiert ist. Die Bruderschaft will nicht zurück ins 8. Jahrhundert; sie will einen modernen islamistischen Staat. Ihr Vorbild ist nicht das Afghanistan der Taliban, sondern eher eine sunnitische Variante des iranischen Gottesstaates. In diese Richtung weist auch der in der neuen Verfassung festgeschriebene Plan, Teile der Gesetzgebung von den religiösen Rechtsgelehrten der Al-Azhar-Universität vor Inkrafttreten auf ihre Scharia-Konformität prüfen zu lassen (Artikel 4). Weiterlesen

Bandion-Ortner und der Dialog

Am Montag dem 26.11.2012 wurde in Wien das König Abdullah Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog feierlich eröffnet. Am selben Tag erschien im Kurier ein Interview mit der Vizegeneralsekretärin und ehemaligen österreichischen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner. Hoffnungsvoll bemerkt sie darin: „Der Dialog funktioniert wirklich. Ich war selbst überrascht, in welch harmonischer Art und Weise er abläuft.“ Angesprochen auf die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien legt sie in beeindruckend schlichter Weise die Vorstellung ihres Zentrums von Dialog und Menschenrechten dar:

„Gegenfrage: Was würde sich ändern, wenn der Austausch nicht stattfände. Dialog ist immer besser als Monolog. Wir sind nicht dazu da, um andere zu beurteilen oder uns irgendwo einzumischen. Es geht darum, Unterschiede herauszuarbeiten und zu akzeptieren. Wir können die Welt nicht von heute auf morgen verändern, das wissen wir, doch langfristig wird unsere Arbeit Früchte tragen – in allen Ländern dieser Welt. Und sie wird auch zur Verbesserung der Menschenrechte, letztlich zum Frieden beitragen.“

Nun ist es ohne Zweifel wichtig, auch über ideologische und weltanschauliche Gräben hinweg miteinander zu reden und Konflikte verbal auszutragen, aber ein Dialog mit Vertretern eines der brutalsten Regime der Welt mit seiner extremistischen Auslegung von Religion sollte weder Harmonie noch Akzeptanz von Unterschieden zum Ziel haben, will er nicht zum diplomatischen Small Talk verkommen. Weiterlesen

Wieviel Scharia verträgt Europa?

Vortrag, gehalten auf dem 17. Wiener Kulturkongress am 6. Nov. 2012

In den letzten Jahren wurde von verschiedenen Seiten die Forderung erhoben, Teile der Scharia in das Privat- bzw. Zivilrechtrecht europäischer Rechtssysteme aufzunehmen. Einige der größeren islamischen Verbände treten immer wieder mit dieser Vorstellung an die Öffentlichkeit – so etwa der Zentralrat der Muslime in Deutschland, um einen der bekanntesten zu nennen. Aber nicht nur Muslime können sich mit diesem Gedanken anfreunden. Zuletzt ließ der rheinland-pfälzische Justizminister Jochen Hartloff (SPD) aufhorchen. Er will ergänzend zum deutschen Recht bei zivilen Streitigkeiten auch das Rechtssystem des Islams anwenden. Das größte Aufsehen erregte vermutlich der anglikanische Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, der im Februar 2008 vorschlug, Teile der Scharia-Gesetzgebung in die britische Zivilrechtssprechung aufzunehmen, weil sich „Teile der Gesellschaft nicht mit unseren Gesetzen identifizieren.“ Diese Begründung ist vor allem deshalb bedenklich, weil sie einer Kapitulationserklärung des Rechtsstaates gleichkommt. Im Oktober desselben Jahres meldete sich der bayrische FDP-Landtagsabgeordnete Georg Barfuß mit der Forderung zu Wort: „Wo die Scharia mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sollte sie erlaubt werden.“

Angesichts dieser Forderung stellt sich die Frage, inwieweit die Scharia mit europäischem Recht, mit europäischen Verfassungen und den Menschenrechten vereinbar ist. Ausgehend von dieser Fragestellung möchte ich die folgenden Überlegungen anstellen: Wieviel Scharia verträgt Europa? Weiterlesen

Solidarität mit dem iranischen Musiker Shahin Najafi!

Seit 2005 lebt der Musiker Shahin Najafi im Exil in Deutschland. Am 7. Mai 2012 veröffentlichte er seinen Song Naghi, in dem er den 10. Imam anruft und sich satirisch mit dem Regime im Iran auseinandersetzt. Er spricht darin soziale, politische und ökonomische Übel an, Korruption, politische Unterdrückung, den Schönheits- und Sexwahn. Großajatollah Scheich Lotfolah Safi Golpayegani bezichtigte ihn daraufhin der Blasphemie und der Beleidigung des 10. Imam und erlies eine mit einem Mordaufruf verbundene Fatwa gegen Najafi. Das ist nach der Todesfatwa gegen Salman Rushdie im Jahr 1989 neuerlich ein Mordaufruf eines Vertreters des iranischen Regimes gegen einen Bürger eines europäischen Landes. Bislang waren die Reaktionen europäischer Regierungen auf diese Anmaßung äußerst verhalten.

Daher hat Günter Wallraff gemeinsam mit dem Grafiker Klaus Staek und dem Komponisten Manos Tsangaris jetzt einen Solidaritätsaufruf zum Schutz Shahin Najafis gestartet, der an dieser Stelle gemeinsam mit der Liste der 50 ErstunterzeichnerInnen dokumentiert werden soll. Die Unterzeichnung des Aufrufs ist mit einer E-Mail oder einem unterschriebenen Fax an die Adressen huber@adk.de / Fax: (030) 20057 1525  oder guenter.wallraff@koeln.de / Fax: (0221) 952 1526 möglich.

Und hier der Wortlaut des Solidaritätsaufrufs und die Liste der Erstunterzeichner:

15. Juni 2012

Solidarität mit Shahin Najafi

Der iranische Musiker Shahin Najafi, der seit 2005 im Exil in Deutschland lebt, wird mit dem Tode bedroht, weil er in einem Lied den im Jahr 869 verstorbenen zehnten Imam anruft, auf die Erde zurückzukehren. Sein Text übt mit Satire Kritik an dem diktatorischen Regime. Iranische Großayatollahs erklärten ihn zum Ketzer, der den Tod verdiene. Auf Shahin Najafi wurde ein Kopfgeld von 100.000 Dollar ausgesetzt. Wir haben Respekt vor dem Mut von Shahin Najafi, sich nicht einschüchtern zu lassen und sich weiterhin künstlerisch einzumischen. Denn Kunst muss frei sein. Kunst muss sich entfalten können und provozieren dürfen. Die Freiheit der Kunst ist ein universelles Menschenrecht. Todesdrohungen gegen Künstler und Andersdenkende sind der Tod dieser Freiheit.

Wir solidarisieren uns mit Shahin Najafi und fordern Öffentlichkeit und Politiker dazu auf, unseren Kollegen in jeder Form zu unterstützen und sich für seine Sicherheit einzusetzen.

Frank-Markus Barwasser • Sibylle Berg • Horst Bosetzky • Volker Braun • Fred Breinersdorfer • Campino • Frank Castorf • Pepe Danquart • Friedrich Christian Delius • Doris Dörrie • Andreas Dresen • Egotronic • Valie Export • Harun Farocki • Jürgen Flimm • Hans W. Geißendörfer • Jochen Gerz • Günter Grass • Hans Haacke • Nele Hertling • Klaus Hoffmann • Elfriede Jelinek • Necla Kelek • Navid Kermani • Barbara Klemm • Kirsten Klöckner • Wolfgang Kohlhaase • Uwe Kolbe • Sebastian Krumbiegel • Helmut Lachenmann • Jaki Liebezeit • Jan Josef Liefers • Udo Lindenberg • Frank Lüdecke • Terézia Mora • Björn Peng • Moritz Rinke • Robert Schindel • Volker Schlöndorff • Gerhard Schmidt • Ingo Schulze • Bertold Seliger • Smudo • Mathias Spahlinger • Tilman Spengler • Klaus Staeck • Gerhard Steidl • Johano Strasser • Uwe Timm • Frederik „Torch“ Hahn • Rosemarie Trockel • Manos Tsangaris • Andres Veiel • Nike Wagner • Günter Wallraff • Hannes Wader • Konstantin Wecker • Marius Müller-Westernhagen

Shahin Najafis Song

 

Der Islam und Deutschland

Zum Islam, so scheint es, kann ein deutscher Politiker nichts sagen, ohne dass von irgendeiner Seite ein Sturm der Entrüstung losgetreten wird. Diesmal trifft es wieder einmal einen Bundespräsidenten, doch es verwundert, aus welcher Richtung die Empörung kommt. In Anerkennung der Worte seines Vorgängers, der bekanntlich erklärt hatte, „der Islam gehört zu Europa“, sagte Gauck in einem Interview in der Zeit: „Ich hätte einfach gesagt, die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.“

Cem Özdemir, Parteichef der deutschen Grünen befand daraufhin, er könne die Differenzierung zwischen Islam und gläubigen Muslimen nicht nachvollziehen. Wenn die in Deutschland lebenden Muslime zu Deutschland gehörten, dann auch der Islam, den sie mitgebracht hätten. In Deutschland leben mittlerweile auch 250.000 bekennende Buddhisten, Weiterlesen