Buchempfehlung: Schwarzbuch Menschenrechte

“Schwarzbuch Menschenrechte” – das Buch der österreichischen Politikwissenschaftlerin und Journalistin Irene Brickner gibt einen kritischen Überblick über die Lage der Menschenrechte in Österreich.

In fünf Kapitel behandelt die Autorin Menschenrechtsverstöße auf verschiedenen Ebenen von Staat und Gesellschaft: Gesetze, die etwa das Recht auf Asyl einschränken; Gerichte, die die Verteidigung der Angeklagten behindern; Verwaltungsakte, die die Würde des/der Einzelnen in Frage stellen; nicht oder unzureichend vorhandener Schutz vor alltäglichen Diskriminierungen wie etwa bei der Arbeits – oder Wohnungssuche und vieles mehr.

Statt einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema Menschenrechte beschreibt die Autorin die Missachtungen grundlegender Rechte und deren praktische Auswirkungen. Anhand exemplarisch geschilderter Schicksale werden diese Auswirkungen anschaulich Weiterlesen

Blasphemiegesetze?

Zuerst ließ der Schriftsteller Martin Mosebach in einem Beitrag in der Berliner Zeitung mit der Forderung nach strengeren Blasphemiegesetzen aufhorchen. Vor wenigen Tagen folgte ihm der Erzbischof von Bamberg, Ludwig Schick, mit der Aussage, ein Gesetz „gegen die Verspottung religiöser Werte und Gefühle“ sei nötig. (WAZ) Dem kann auch Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, etwas abgewinnen. Er plädiert zwar nicht für neue Gesetze, aber der grundgesetzlich garantierte Schutz der freien Religionsausübung solle „in der Rechtsprechung konsequent umgesetzt werden, derzeit vor allem gegen das aggressive, ja missionarische Vorgehen areligiöser Extremisten“, befand er. Religionen sollten wieder verstärkt vor veröffentlichter Religionskritik geschützt werden. Dieser Versuch, das Recht auf Religionsfreiheit gegenüber allen anderen Grundrechten zu erhöhen Weiterlesen

Das Kölner Beschneidungsurteil

von Nina Scholz und Heiko Heinisch

Das Kölner Urteil ist auch Ausdruck einer gesellschaftlichen und rechtlichen Entwicklung, das Individuum in seinen Rechten gegenüber jedem Kollektiv zu stärken, eine Entwicklung die erst vor gar nicht allzu langer Zeit auch Kinder als eigenständige und mit Rechten ausgestattete Persönlichkeiten überhaupt erfasst hat. Die Autorin und der Autor dieses Beitrags halten das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit für gewichtiger als das Recht einer Religionsgemeinschaft auf die Durchführung ihrer Rituale.

In unserem Anfang Juni dieses Jahres erschienenen Buch Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf? weisen wir im Kapitel “Religionsfreiheit” auf die Problematik der Kollision von Menschenrechten hin, wie sie in modernen Grundrechtsdemokratien immer wieder zu beobachten ist. Das betrifft z.B. die Kollision von Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit, wie sie zuletzt breiter im sogenannten Karikaturenstreit diskutiert wurde, oder die Kollision des Persönlichkeitsrechtes (Art. 1 u. 2 GG) mit dem Recht auf Meinungsfreiheit, wie sie zum Alltag der Medienberichterstattung gehört und aktuell im Streit zwischen Papst und Titanic breitere Aufmerksamkeit erregte. In diesem Zusammenhang wird im Buch auch auf die rituelle Beschneidung eingegangen, Weiterlesen

Solidarität mit dem iranischen Musiker Shahin Najafi!

Seit 2005 lebt der Musiker Shahin Najafi im Exil in Deutschland. Am 7. Mai 2012 veröffentlichte er seinen Song Naghi, in dem er den 10. Imam anruft und sich satirisch mit dem Regime im Iran auseinandersetzt. Er spricht darin soziale, politische und ökonomische Übel an, Korruption, politische Unterdrückung, den Schönheits- und Sexwahn. Großajatollah Scheich Lotfolah Safi Golpayegani bezichtigte ihn daraufhin der Blasphemie und der Beleidigung des 10. Imam und erlies eine mit einem Mordaufruf verbundene Fatwa gegen Najafi. Das ist nach der Todesfatwa gegen Salman Rushdie im Jahr 1989 neuerlich ein Mordaufruf eines Vertreters des iranischen Regimes gegen einen Bürger eines europäischen Landes. Bislang waren die Reaktionen europäischer Regierungen auf diese Anmaßung äußerst verhalten.

Daher hat Günter Wallraff gemeinsam mit dem Grafiker Klaus Staek und dem Komponisten Manos Tsangaris jetzt einen Solidaritätsaufruf zum Schutz Shahin Najafis gestartet, der an dieser Stelle gemeinsam mit der Liste der 50 ErstunterzeichnerInnen dokumentiert werden soll. Die Unterzeichnung des Aufrufs ist mit einer E-Mail oder einem unterschriebenen Fax an die Adressen huber@adk.de / Fax: (030) 20057 1525  oder guenter.wallraff@koeln.de / Fax: (0221) 952 1526 möglich.

Und hier der Wortlaut des Solidaritätsaufrufs und die Liste der Erstunterzeichner:

15. Juni 2012

Solidarität mit Shahin Najafi

Der iranische Musiker Shahin Najafi, der seit 2005 im Exil in Deutschland lebt, wird mit dem Tode bedroht, weil er in einem Lied den im Jahr 869 verstorbenen zehnten Imam anruft, auf die Erde zurückzukehren. Sein Text übt mit Satire Kritik an dem diktatorischen Regime. Iranische Großayatollahs erklärten ihn zum Ketzer, der den Tod verdiene. Auf Shahin Najafi wurde ein Kopfgeld von 100.000 Dollar ausgesetzt. Wir haben Respekt vor dem Mut von Shahin Najafi, sich nicht einschüchtern zu lassen und sich weiterhin künstlerisch einzumischen. Denn Kunst muss frei sein. Kunst muss sich entfalten können und provozieren dürfen. Die Freiheit der Kunst ist ein universelles Menschenrecht. Todesdrohungen gegen Künstler und Andersdenkende sind der Tod dieser Freiheit.

Wir solidarisieren uns mit Shahin Najafi und fordern Öffentlichkeit und Politiker dazu auf, unseren Kollegen in jeder Form zu unterstützen und sich für seine Sicherheit einzusetzen.

Frank-Markus Barwasser • Sibylle Berg • Horst Bosetzky • Volker Braun • Fred Breinersdorfer • Campino • Frank Castorf • Pepe Danquart • Friedrich Christian Delius • Doris Dörrie • Andreas Dresen • Egotronic • Valie Export • Harun Farocki • Jürgen Flimm • Hans W. Geißendörfer • Jochen Gerz • Günter Grass • Hans Haacke • Nele Hertling • Klaus Hoffmann • Elfriede Jelinek • Necla Kelek • Navid Kermani • Barbara Klemm • Kirsten Klöckner • Wolfgang Kohlhaase • Uwe Kolbe • Sebastian Krumbiegel • Helmut Lachenmann • Jaki Liebezeit • Jan Josef Liefers • Udo Lindenberg • Frank Lüdecke • Terézia Mora • Björn Peng • Moritz Rinke • Robert Schindel • Volker Schlöndorff • Gerhard Schmidt • Ingo Schulze • Bertold Seliger • Smudo • Mathias Spahlinger • Tilman Spengler • Klaus Staeck • Gerhard Steidl • Johano Strasser • Uwe Timm • Frederik „Torch“ Hahn • Rosemarie Trockel • Manos Tsangaris • Andres Veiel • Nike Wagner • Günter Wallraff • Hannes Wader • Konstantin Wecker • Marius Müller-Westernhagen

Shahin Najafis Song

 

Ohne Glaubensfreiheit gibt es keine Freiheit

Im Jahr 2008 startete der damals 18 jährige Marokkaner Kacem El Ghazzali einen Blog. Er glaubte nicht an Gott und hatte in seinem Berber-Dorf in Marokko niemanden, dem er sich mitteilen, mit dem er seine Gedanken und Ideen besprechen konnte, also wollte er sie anonym der Welt mitteilen. Doch schon bald wurde er enttarnt und erhielt fortan Morddrohungen. In seiner Verzweiflung wandte er sich an die Medien und gab im Oktober 2010 einem arabisch-sprachigen französischen Fernsehsender ein Interview. Daraufhin wurde er im Dorf isoliert, „Freunde“ begleiteten ihn nicht mehr zur Schule und niemand kam ihn mehr besuchen. Selbst Teile seiner Familie stellten sich gegen ihn – niemand im Dorf konnte oder wollte ihn, den Atheisten, verstehen. Die Todesdrohungen nahmen weiter zu, in der Schule wurde er vom Direktor zusammengeschlagen und von Mitschülern mit Steinen beworfen. Der Imam des Dorfes warnte die Gläubigen vor Kacem El Ghazzali und selbst in Marrakesch verurteilten ihn Imame in ihren Predigten. Er flüchtete daraufhin aus dem Dorf, tauchte in Städten unter und bat schließlich in der Schweizer Botschaft um Hilfe. Mit einem Visum Weiterlesen

Vorratsdatenspeicherung

Wie bereits im Artikel über die Verbotsgesellschaft dargelegt, haben sich westliche Regierungen einem neuen Paternalismus verschrieben. Sie fühlen sich ebenso für die Gesundheit wie für das gesunde Verhalten ihrer Bürger verantwortlich und Sicherheit in jeder Lebenslage mutiert zum höchsten aller Werte. Das gilt insbesondere für die Politik der inneren Sicherheit, den Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität. Dieser scheint nur erfolgreich geführt werden zu können, wenn die Bürger in die Position zu überwachender Schutzbefohlener versetzt werden. So, wie uns im Gesundheitsbereich suggeriert wird, wir würden nicht mehr krank werden (vermutlich nicht einmal mehr sterben), wenn wir uns nur endlich gesund ernährten, Sport trieben und auf Tabak und Alkohol verzichteten, wobei uns die Regierung tatkräftig mit entsprechenden Verboten und Geboten unterstützen wird, so wird uns im Bereich der inneren Sicherheit suggeriert, alle Gefahren könnten von uns abgewendet werden, wenn der Staat, Polizei und Geheimdienste nur genügend Ermittlungs- und Überwachungsmöglichkeiten bekämen. Weiterlesen

Sieg der Salafisten?

Keine Frage, die rechtsextremen Ausländer- und Muslimhasser von Pro NRW sind ein ungustiöses Gesindel. In einem demokratischen Rechtsstaat gilt das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit allerdings für alle, ob uns deren Ansichten gefallen oder nicht. Eine Demokratie muss und kann das aushalten. Weiterlesen

Der Rechtsstaat verlangt die freie Rede des Angeklagten!

In seinem Leitartikel für das Profil dieser Woche schreibt Robert Treichler unter dem Titel „Die Stimme Eurabiens“, es sei zwar unerträglich, dass Anders Breivik seine Weltsicht öffentlich ausbreiten dürfe, aber man solle ihn dennoch reden lassen, weil der „Konsum von Breiviks Gesamtwerk“ „kathartische Wirkung entfalten“ könne: „Es wird Bürgern zusehends peinlich sein, denselben Nonsens zur Grundlage ihrer politischen Haltung zu machen.“ Hinter diesem Leitartikel verbirgt sich ein recht verqueres Verständnis rechtsstaatlicher Regeln.

Anders Breivik darf nicht deswegen vor Gericht frei reden, damit wir von ihm lernen, wie blödsinnig rassistische Argumente sind. Das wissen wir entweder oder werden es auch von Breivik nicht lernen.
Breivik darf frei reden, weil Norwegen ein Rechtsstaat ist und in einem solchen jeder – und das meint wirklich jeder – Angeklagte das Recht hat, sich vor Gericht zu rechtfertigen und dazu gehört auch das Ausbreiten seiner Motive, ob uns diese nun gefallen, verletzen oder empören.

 

Diese „Bühne“ steht ihm zu – ein Gastbeitrag von Wolfgang Greber

Auch irren Massenmördern gewährt eine moderne Justiz einen ordentlichen Prozess.

Die abstrusen Thesen Breiviks, etwa, dass seine Morde der „Selbstverteidigung der kulturellen Identität Europas“ dienten, sorgen für Diskussionen. Vor allem, wieso das Gericht jemanden, der offenkundig sehr irr oder sehr bösartig oder beides ist, seine abnormen Gedanken an fünf Tagen verkünden lässt – zudem Breivik selbst das Gericht „Propagandachance“ genannt und seine Taten durch sein „Pamphlet“ bereits erklärt hat.

In einer fairen Justiz fußen Strafprozesse aber auf wohletablierten Maximen, etwa der des rechtlichen Gehörs: Jeder Angeklagte hat die uneingeschränkte Möglichkeit, sich zu rechtfertigen. Dass er, wie Breivik, im Vorverfahren alles zugab, ändert nichts, denn es gelten auch Maximen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit: Ein Urteil darf nur auf Beweisen fußen, die in der Hauptverhandlung sichtbar/hörbar vorkamen; Dokumente, etwa Polizeiprotokolle, müssen verlesen werden, Zeugen und Angeklagte erneut aussagen. Und laut Öffentlichkeitsprinzip müssen (fast alle) Verhandlungen von Zusehern im Saal verfolgt werden können; die Liveübertragung etwa per TV ist aber meist illegal – gerade mit dem Zweck, keine grenzenlose Propagandabühne zu schaffen.

Diese Grundsätze müssen, auch wenn es schwerfällt, von der Tat entkoppelt bleiben. Denn ab wann sollten sie nicht mehr gelten: ab drei Toten? Ab 30? Ab 77? Und unangenehme, ideologisch-politisch brisante bis kranke Rechtfertigungen, die vom „Kampf der Kulturen“ zehren, muss eine moderne Gesellschaft aushalten: Redeverbote sind etwas für mittelalterlich-autoritäre Regimes.

Dieser Artikel wurde zuerst abgedruckt in: Die Presse, 18. April 2012, S. 8 und im Internet unter: http://diepresse.com/home/meinung/kommentare/750146/Diese-Buehne-steht-ihm-zu