Interview mit Nina Scholz und Heiko Heinisch. Ö1 Kontext – die Sachbuchsendung.

Interview des Österreichischen Rundfunks Ö1 mit Nina Scholz und Heiko Heinisch zum soeben erschienenen Buch „Alles für Allah – Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert“, Molden Verlag 2019 (20 €, auch als eBook, 15,99 €) für die Sachbuchsendung Kontext – Sachbücher und Themen.
Sendung vom 12. April 2019. Moderation Wolfgang Ritschl.

Transkription: Paul Nellen.

Anmoderation:
Nach einem islamistischen Terrorakt folgt oft eine Distanzierung islamischer Verbände, weil Terror nicht mit dem Islam vereinbar sei. Im Mainstreamislam sei die Utopie der Islamisierung der Welt aber nach wie vor präsent und auch an einer Theologie des Dschihad würden alle großen Strömungen des Islam bis heute festhalten, meinen die Politologin Nina Scholz und der Historiker Heiko Heinisch. Die dann vorgebrachte Unterscheidung zwischen „kleinem“ Dschihad, also bewaffnetem Kampf, und “großem Dschihad“, also friedlicher innerer Anstrengungen gegen das eigene Ego, halten sie für eine Beschwichtigungstaktik. „Wir haben“, so schreiben die Autoren, „ein Problem mit dem islamischen Mainstream“. Viele Vereine und Organisationen würden Positionen des politischen Islam vertreten und hätten ganz legal den Marsch durch die Institutionen angetreten. Im Namen der Religionsfreiheit versuchten sie so, für fundamentalistische Communitys Freiräume für ein Leben nach streng islamischen Regeln durchzusetzen. Wenn in einer Demokratie die Feinde der offenen Gesellschaft zur Mehrheit werden, dann hört die Demokratie auf zu existieren. „Alles für Allah“ lautet der Titel des Buches von Nina Scholz und Heiko Heinisch, in dem sie beschreiben, wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert. Mehr dazu in einem Studiogespräch.

Moderator:
Ö1 Kontext – im Studio darf ich nun zwei Gäste begrüßen: Nina Scholz – Sie sind Politologin und haben unter anderem am Ludwig Boltzmann Institut für historische Sozialwissenschaften in Wien gearbeitet. Und weiters Heiko Heinisch – Sie sind Historiker und haben unter anderem am Institut für islamische Studien der Universität Wien gearbeitet.
Sie beide haben auch zu den Themen Nationalsozialismus und Antisemitismus gearbeitet. Seit mehreren Jahren widmen Sie sich nun dem Themenkomplex Europa, Menschenrechte und Islam. Darum geht es auch in Ihrem Buch, über das wir nun sprechen wollen. Es trägt den Titel „Alles für Allah – Wie der politische Islam unsere Gesellschaft verändert“. Ihre Grundthese ist, dass wir nicht nur mit gewalttätigen Islamisten ein Problem haben, mit dem Terror, sondern mit dem islamischen Mainstream. Vor 40 Jahren habe, ausgehend von der islamischen Revolution im Iran, eine Islamisierung des Islam begonnen. Immer öfter wird auf ältere islamische Konzepte zurückgegriffen, die im Islam ein ganzheitliches Programm sehen, das den einzelnen Menschen sowie Staat und Gesellschaft bestimmen soll. Dazu kommt ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber dem Westen. Es geht dem politischen Islam, heißt es in Ihrem Buch, nicht nur darum, Muslime zu beeinflussen, sondern um die Unterwanderung westlicher Gesellschaften mit dem langfristigem Ziel der Etablierung eines weltweiten islamischen Staates. Dafür setzen islamische Vereine und Organisationen auf den Marsch durch die Institutionen. Können Sie, Herr Heinisch, dafür ein paar Beispiele nennen?
Heiko Heinisch:
Wir finden Menschen aus islamistischen Organisationen heute in politischen Parteien jeglicher Couleur, mehr oder weniger. Sie suchen sich immer die Parteien aus, die aktuell am nächsten an der Macht sind, wo die Macht im Parteiapparat verspricht, die eigene Politik in die Gesellschaft hineintragen zu können. Wir finden sie in NGOs, und wir finden sie auch in Zusammenarbeit mit Organisationen, die mehr oder weniger nahe an diesem Organisationsgeflecht dranhängen. Und auf diesem Weg wird halt versucht, Einfluss zu nehmen. Es wird immer gesagt, was heißt, die wollen islamistische Regeln in die Gesellschaft hineintragen? Ein Beispiel ist etwa der dänische Karikaturenstreit. Damals ging es darum, dass gesagt wurde: im Islam gibt es ein Bilderverbot. Das bedeutet, der Prophet Mohammed darf nicht abgebildet werden. Das ist schon mal der erste Punkt, dass das eine fundamentalistische Ansage ist. Denn wir kennen Abbildungen Mohammeds aus der islamischen Buchmalerei, auch mit vollem Gesicht gezeichnet. Das Bilderverbot gab es nicht immer in dieser vollen Restriktivität. Und es wurde darüber hinaus gesagt: deswegen dürft ihr alle Mohammed nicht zeichnen. Da wird eine Regel, die aus einem islamistischen Umfeld kommt, versucht, auf die gesamte Bevölkerung zu übertragen. Und das durchaus auch mit gewissem Erfolg, denn es traut sich heute tatsächlich kaum eine Zeitung, Mohammed-Bilder abzudrucken.
Moderator:
Also man argumentiert mit der Verletzung religiöse Gefühle? Das wird behandelt in Ihrem Buch in einem Kapitel zur Meinungsfreiheit. Das heißt, da geht es letztlich um Immunisierung gegen Kritik. Aber auf diese Verletzung religiöser Gefühle berufen sich aber auch Christen, um nur ein Beispiel zu nennen…
Nina Scholz:
Ja, das kommt immer wieder vor. Und es gibt auch noch Blasphemiegesetze, die meiner Meinung nach abgeschafft gehören, wie das einige Länder auch schon vorgemacht haben. Aber letztendlich ist der Begriff religiöse Gefühle an sich schon ein Paradoxon. Weil: Wir sprechen auch nicht von ökonomischen oder von philosophischen Gefühlen. Letztendlich ist das Gefühl, das verletzt wird, ein ganz normales Gefühl wie andere auch. Und das ist letztendlich die Erschütterungen darüber, dass ein anderer Mensch religiöse Symbole, den Propheten oder Gott, nicht in dieser Weise respektiert oder betrachtet, wie man das selbst tut. Letzten Endes ist es die Erschütterung über die Wahrnehmung anderer Meinungen oder des Anderen überhaupt.
Moderator:
Gefährlich sind für Sie legal agierende Vereinigungen und Institutionen, die den politischen Islam vertreten, weil es Ihnen darum geht, dem Islam in der Gesellschaft eine exklusive Stellung zu verschaffen und für fundamentalistische Communitys Freiräume für ein Leben nach streng islamischen Regeln durchzusetzen. Ist diese Absicht, Herr Heinisch, denn nicht gleich erkennbar?
Heiko Heinisch:
Offensichtlich nicht. Offensichtlich sind sie durchaus erfolgreich in ihrem Agieren und in ihrer Suche nach Bündnispartnern, sowohl in der Kirche als auch in vielen politischen Parteien. Egal, ob es nun um die Kopftuchdebatte geht oder ob es um den Schwimmunterricht in Schulen geht und dergleichen – von diesen islamischen Verbänden, die alle mehr oder weniger mit Organisationen des politischen Islam verbunden sind oder von diesen sogar geleitet werden, wird immer wieder versucht, diese Themen abzuwehren. Nach dem Motto: nun ja, das ist in muslimischen Familien halt so. Und es wird dann gern übersehen, dass das bedeutet, dass die schwächstem Mitglieder dieser Communitys, also vor allem Frauen und Mädchen, innerhalb der Community wesentlich weniger Rechte haben als das normalerweise Mädchen und Frauen zugestanden wird. Und da, wo wir auf Gleichberechtigung setzen, wird ganz klar auf Ungleichberechtigung gesetzt. Islamische Vereine und Organisationen versuchen, diese Freiräume für die Communitys zu erhalten und alle Kritik, die es daran gibt, letztlich als islamophob oder als rassistisch zu denunzieren. Im Prinzip lassen wir uns davon in Geiselhaft nehmen, von diesem Rassismusvorwurf, und trauen uns dann als Gesellschaft nicht, massiv zu sagen: das geht nicht, was dort passiert, das geht nicht, dass kleine Mädchen zum Kopftuch gezwungen werden. Es geht nicht, dass Mädchen gezwungen werden, eine Ehe einzugehen, ob sie das nun wollen oder nicht, und das sind alles keine Einzelfälle. Das wissen wir aus Studien. Das sind sehr weit verbreitete Phänomene. Und wir lassen damit letztlich die schwächsten Mitglieder dieser Communitys im Stich, weil wir uns als Gesellschaft nicht massiv genug trauen, auf diese Punkte zu schauen und dort auch einzugreifen.
Moderator:
Das heißt, Sie befürworten ein Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen?
Heiko Heinisch:
Ja!
Moderator:
…und dies, so heißt es in Ihrem Buch, sogar bis zur Matura?
Heiko Heinisch:
Ich würde mir eine kopftuchfreie Schule wünschen. Es gibt auch gute Beispiele dafür, warum das sinnvoll wäre. Es genügt an Schulen schon, dass eine kleine Gruppe, eine Peergroup, versucht, islamische Regeln in ihrem Umfeld durchzusetzen. Weil es innerhalb islamischer Communitys sehr schlecht angesehen ist, den Islam zu kritisieren, also, wer für den Islam spricht, steht hier schon mehr oder weniger außerhalb der Kritik. Und wenn an Schulen Jungen herumlaufen und Mädchen darauf hinweisen, dass sie kein Kopftuch tragen, obwohl sie eigentlich ja Muslime sind, dann ist es sehr schwer, ihnen innerhalb der Schule, von der Schülerschaft her Widerstand zu leisten. Und solche Peergroups setzen sich dann an den Schulen sehr leicht durch. Die Beispiele dafür haben wir auch und führen im Buch einige an. Und um diesen Druck von Mädchen und auch von anderen Mitschülern zu nehmen, halte ich es für sinnvoll, das Kopftuch generell zu verbieten innerhalb des Raums Schule und ihn wirklich zu einem kopftuchfreien Raum zu machen, wo Mädchen sich frei bewegen können. Was sie außerhalb der Schule tun, kann man ohnehin nicht beeinflussen. Und auch nicht, was sie nach der Schulzeit als erwachsene Frauen tun. Da sind sie natürlich frei, sich für oder gegen ein Kopftuch zu entscheiden. Zu dieser Entscheidung gehört aber dazu, dass sie überhaupt die Gelegenheit gehabt haben, sich entscheiden zu können.
Moderator:
Weder die Medien noch die Politik – und zwar quer durch alle Parteien – haben eine adäquate Vorstellung vom Phänomen politischer Islam oder Islamismus, heißt es in Ihrem Buch. Diesem Vorwurf, Frau Scholz, kann man, was die Medien betrifft, schwer begegnen, weil er so pauschal ist. Bei der Politik führen Sie so manche Aktionen an – bei der Deradikalisierung etwa -, wo man den Bock zum Gärtner gemacht hat. In einem Fall wurden sogar mal Kämpfer für den IS angeworben.
Nina Scholz:
Das Problem ist, dass die Politik oft den bequemen Weg geht, sich an Organisationen zu wenden, die es schon gibt. Das sind aber in der Regel Organisationen des politischen Islam, Lobbyorganisationen, die sich organisieren, denn die vielen Musliminnen und Muslime, die einfach ihr Leben hier leben, sich integriert haben und die normale Bürgerinnen und Bürger sind, werden nicht wahrgenommen. Die sind in dem Sinne auch keine Ansprechpersonen. Es gibt bisher nur wenige Versuche, sich zu organisieren, hauptsächlich in Deutschland. Die Politik sucht oft einen Ansprechpartner, für bestimmte Probleme der Integration, und wendet sich dann ausgerechnet an die bestehenden Organisationen, die zum Teil eine islamistische Agenda vertreten wie zum Beispiel Milli Görüş oder auch die Liga Kultur, das ist die Organisation, die sich selbst auch dezidiert als Muslimbruderschaft bezeichnet, und trägt ihnen dann Aufgaben an, die nicht mit religiösen Fragen zu tun haben, sondern auch mit Bildungsfragen, Integrationsfragen und so weiter. Und so kommt es, dass diese Organisationen zum Beispiel Wertekurse für Flüchtlinge angeboten haben und Deutschkurse. Ich glaube nicht, dass es im Interesse der Gesellschaft ist, dass neu eingewanderte oder geflüchtete Menschen ausgerechnet Organisationen wie der Liga Kultur, also der Muslimbruderschaft, in die Hände gelegt werden. Da hat der Staat schon eine Verantwortung.
Moderator:
Probleme an der Schule oder in der Gesellschaft ließen sich mit mehr und noch verstärkter Sozialarbeit, noch mehr Dialog lösen. Nun sagen Sie, das ist eine paternalistische Haltung. Was, Herr Heinisch, wäre dann der richtige Weg, um ein friedliches Zusammenleben der Religionen zu gewährleisten?
Heiko Heinisch:
Der erste Schritt wäre natürlich anzuerkennen, dass es hier nicht nur um persönliche Entwicklung geht. Man kann nicht einfach sagen, es gibt Menschen, die sind noch nicht soweit, die können sich noch nicht integrieren, die brauchen noch Unterstützung, um dahin zu kommen. Sondern es geht darum, anzuerkennen, dass es auch Menschen gibt, die sich in die Gesellschaft, in der wir leben, in die pluralistische Gesellschaft, mit Gleichberechtigung der Geschlechter, einfach nicht integrieren wollen. Die nicht daran interessiert sind, sondern das zutiefst innerlich ablehnen und diese Gesellschaft geradezu als Gefahr für sich und ihre Kinder empfinden. Die also sehr wohl ökonomische Vorteile haben wollen, aber letztlich mit der Gesellschaft nichts zu tun haben wollen. Wenn wir diesen Schritt gegangen sind, stellt sich als nächstes die Frage, wie viele Menschen erträgt die Gesellschaft, die der Gesellschaft eigentlich feindlich gegenüberstehen. Und da ist bei Einwanderung meiner Meinung nach schon darauf zu achten, wen wir hier aufnehmen und inwiefern diese wirklich hier in der Gesellschaft leben und nicht nur die ökonomischen Vorzüge haben wollen. Weil ich glaube, dass eine Gesellschaft auf Dauer zerbrechen wird, wenn das gesellschaftliche Narrativ, wenn die Zustimmung zu der Gesellschaft an sich immer stärker schwindet, also immer größere Gruppen der Gesellschaft ihre Zustimmung entziehen oder sie als Ganzes ablehnen, dann wird irgendwann diese Gesellschaft einfach nicht mehr existieren. Und dieser Gefahr sollten wir uns bewusst sein.