Mohammed-Schmähungen und Antisemitismus

Die Meinungsfreiheit wird immer wieder in Frage gestellt, wenn irgendwo auf der Welt extremistische Muslime gegen tatsächliche oder behauptete Schmähungen und Verspottungen ihrer Religion zum Mittel des gewaltsamen Protests greifen. Nach dem Mohammed-Video, das Extremisten pünktlich zum 11. September aus einem dunklen Eck des Internets geborgen hatten, tauchte in diversen Foren und auf Kommentarseiten ein neuer Vorwurf im Zusammenhang mit Kritik oder Spott gegenüber dem Islam auf: Gegen Muslime dürfe man im Namen der Meinungsfreiheit hetzen, während Antisemitismus verboten sei. Oder in abgewandelter Form: Antisemitismus sei verboten, aber Islamophobie müssten Muslime hinnehmen. Der Ministerpräsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, verwies darauf, dass die Türkei den Antisemitismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebrandmarkt habe, während zur Islamophobie im Westen geradezu ermuntert werde.

Ist dieses Argument wirklich schlüssig? Und lassen sich ein Schmähfilm auf Mohammed (oder Karikaturen) und Antisemitismus vergleichen? Weiterlesen

Bald müssen wir nicht mehr sterben

Der „wichtigste gesundheitspolitische Kongress der EU“, das European Health Forum Gastein (EHFG), fand dieses Jahres vom 3. bis 6. Oktober unter dem Motto „Die Krise als Chance. Gesundheit in Zeiten der Sparpolitik“ statt. Am 5. Oktober überraschte das EHFG mit einer Pressemeldung, die prompt von diversen österreichischen Medien übernommen wurde. Darin heißt es, sogenannte Lebensstil-Erkrankungen (darunter fallen alle nicht übertragbaren Krankheiten wie etwa Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen…) machten in den 53 Ländern der WHO-Region Europa bereits jetzt „77 Prozent der Krankheitslast aus und sind Ursache für 86 Prozent aller Todesfälle.“

Daraus folgt, dass lediglich 14 Prozent der Menschen sterben, weil Menschen gemeinhin sterben – die restlichen 86 Prozent sind selbst dran schuld, ihr Tod wäre vermeidbar, würden sie nur ihren Lebensstil ändern, Weiterlesen

Blasphemiegesetze? Part II

In meinem ersten Beitrag zu  Blasphemiegesetzen vor sechs Wochen ging es mir vor allem um die Ungleichbehandlung von religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen. War die Diskussion damals noch abstrakt, bekommt sie aktuell dadurch eine neue Dimension, dass Politiker über schärfere Gesetze zur Ahndung von Blasphemie diskutieren. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Johannes Singhammer, hält eine Zeit brennender Botschaften für geeignet, dem deutschen Bundestag ein neues, altes und verschärftes Blasphemiegesetz vorzulegen (Es wurde bereits im Jahr 2000 vorgelegt und abgelehnt). Ginge es nach ihm, sollte der Bezug auf den „öffentlichen Frieden“ aus dem § 166 StGB wieder gestrichen werden, wodurch fortan jede öffentliche Beschimpfung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses strafbar wäre. Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Martin Schulz, steht ihm nicht nach und fordert in einer Rede mit Blick auf den Mohammed-Film, der seit 2 Wochen die Welt beschäftigt, “dass diese Art von blasphemischen Filmen verurteilt werden muss.“ Beide schließen sich damit einer langjährigen Forderung der OIC (Organisation für islamische Zusammenarbeit) an, Weiterlesen

Das Individuum steht im Mittelpunkt

Der Blogger André Krause hat mit Nina Scholz und mir ein Interview zu unserem Buch “Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?” geführt, das er gestern auf seinem Blog “Union 21 – für ein freiheitliches deutschland. gegen extremisten jeglicher couleur.” veröffentlicht hat.

Es findet sich hier: http://blog.union21.de/?p=726

 

Meinungsfreiheit light – aus Rücksicht auf Terror?

Ein Gastbeitrag von RA Heinrich Schmitz

Ein bekloppter Amerikaner macht ein selten schlechtes Video über den Propheten Mohammed. In verschiedenen Ländern werden westliche Botschaften angegriffen. Der amerikanische Botschafter in Libyen und drei seiner Mitarbeiter werden ermordet.

Mit großer Begeisterung – und ohne die Richtigkeit auch nur im leisesten anzuzweifeln – wird dem Urheber des Videos, auch von westlichen Politikern, die Schuld oder Mitschuld an den Anschlägen zugeschrieben. Das Video enthält keinerlei Aufruf zur Gewalt.

Wie schön, wenn man einen Schuldigen hat, der von den eigenen Fehlern der Vergangenheit ablenkt und einem zusätzlich noch die Chance gibt, vielleicht nebenbei noch ein kleines bisschen Zensur einzuführen.

Es gab schon Terroranschläge vor diesem Video und Weiterlesen

Buchempfehlung: Schwarzbuch Menschenrechte

“Schwarzbuch Menschenrechte” – das Buch der österreichischen Politikwissenschaftlerin und Journalistin Irene Brickner gibt einen kritischen Überblick über die Lage der Menschenrechte in Österreich.

In fünf Kapitel behandelt die Autorin Menschenrechtsverstöße auf verschiedenen Ebenen von Staat und Gesellschaft: Gesetze, die etwa das Recht auf Asyl einschränken; Gerichte, die die Verteidigung der Angeklagten behindern; Verwaltungsakte, die die Würde des/der Einzelnen in Frage stellen; nicht oder unzureichend vorhandener Schutz vor alltäglichen Diskriminierungen wie etwa bei der Arbeits – oder Wohnungssuche und vieles mehr.

Statt einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema Menschenrechte beschreibt die Autorin die Missachtungen grundlegender Rechte und deren praktische Auswirkungen. Anhand exemplarisch geschilderter Schicksale werden diese Auswirkungen anschaulich Weiterlesen

Das Kölner Beschneidungsurteil

von Nina Scholz und Heiko Heinisch

Das Kölner Urteil ist auch Ausdruck einer gesellschaftlichen und rechtlichen Entwicklung, das Individuum in seinen Rechten gegenüber jedem Kollektiv zu stärken, eine Entwicklung die erst vor gar nicht allzu langer Zeit auch Kinder als eigenständige und mit Rechten ausgestattete Persönlichkeiten überhaupt erfasst hat. Die Autorin und der Autor dieses Beitrags halten das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit für gewichtiger als das Recht einer Religionsgemeinschaft auf die Durchführung ihrer Rituale.

In unserem Anfang Juni dieses Jahres erschienenen Buch Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf? weisen wir im Kapitel “Religionsfreiheit” auf die Problematik der Kollision von Menschenrechten hin, wie sie in modernen Grundrechtsdemokratien immer wieder zu beobachten ist. Das betrifft z.B. die Kollision von Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit, wie sie zuletzt breiter im sogenannten Karikaturenstreit diskutiert wurde, oder die Kollision des Persönlichkeitsrechtes (Art. 1 u. 2 GG) mit dem Recht auf Meinungsfreiheit, wie sie zum Alltag der Medienberichterstattung gehört und aktuell im Streit zwischen Papst und Titanic breitere Aufmerksamkeit erregte. In diesem Zusammenhang wird im Buch auch auf die rituelle Beschneidung eingegangen, Weiterlesen

Ohne Glaubensfreiheit gibt es keine Freiheit

Im Jahr 2008 startete der damals 18 jährige Marokkaner Kacem El Ghazzali einen Blog. Er glaubte nicht an Gott und hatte in seinem Berber-Dorf in Marokko niemanden, dem er sich mitteilen, mit dem er seine Gedanken und Ideen besprechen konnte, also wollte er sie anonym der Welt mitteilen. Doch schon bald wurde er enttarnt und erhielt fortan Morddrohungen. In seiner Verzweiflung wandte er sich an die Medien und gab im Oktober 2010 einem arabisch-sprachigen französischen Fernsehsender ein Interview. Daraufhin wurde er im Dorf isoliert, „Freunde“ begleiteten ihn nicht mehr zur Schule und niemand kam ihn mehr besuchen. Selbst Teile seiner Familie stellten sich gegen ihn – niemand im Dorf konnte oder wollte ihn, den Atheisten, verstehen. Die Todesdrohungen nahmen weiter zu, in der Schule wurde er vom Direktor zusammengeschlagen und von Mitschülern mit Steinen beworfen. Der Imam des Dorfes warnte die Gläubigen vor Kacem El Ghazzali und selbst in Marrakesch verurteilten ihn Imame in ihren Predigten. Er flüchtete daraufhin aus dem Dorf, tauchte in Städten unter und bat schließlich in der Schweizer Botschaft um Hilfe. Mit einem Visum Weiterlesen

Vorratsdatenspeicherung

Wie bereits im Artikel über die Verbotsgesellschaft dargelegt, haben sich westliche Regierungen einem neuen Paternalismus verschrieben. Sie fühlen sich ebenso für die Gesundheit wie für das gesunde Verhalten ihrer Bürger verantwortlich und Sicherheit in jeder Lebenslage mutiert zum höchsten aller Werte. Das gilt insbesondere für die Politik der inneren Sicherheit, den Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität. Dieser scheint nur erfolgreich geführt werden zu können, wenn die Bürger in die Position zu überwachender Schutzbefohlener versetzt werden. So, wie uns im Gesundheitsbereich suggeriert wird, wir würden nicht mehr krank werden (vermutlich nicht einmal mehr sterben), wenn wir uns nur endlich gesund ernährten, Sport trieben und auf Tabak und Alkohol verzichteten, wobei uns die Regierung tatkräftig mit entsprechenden Verboten und Geboten unterstützen wird, so wird uns im Bereich der inneren Sicherheit suggeriert, alle Gefahren könnten von uns abgewendet werden, wenn der Staat, Polizei und Geheimdienste nur genügend Ermittlungs- und Überwachungsmöglichkeiten bekämen. Weiterlesen

Die Goldene Regel

In öffentlichen Diskussionen, vor allem wenn es um die sogenannten interreligiösen und interkulturellen Dialoge geht, wird immer wieder die Goldene Regel bemüht, die, so der Tenor, als ethische Grundlage aller Religionen und Kulturen diene – das Weltethos in einen Satz gegossen. Selten wird erwähnt, dass es diese berühmte Regel in zwei unterschiedlichen Formulierungen gibt, einer „negativen“ und einer „positiven“; wird es doch erwähnt, wird so getan, als wäre die Aussage beider identisch.

Zwischen „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu“ (negativ) und „Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen“ (positiv) liegen jedoch Welten, beide Varianten definieren unterschiedliche Ethiken. In ihrer negativen Formulierung ist die Goldene Regel das ethische Gebot zu persönlicher Freiheit. Sie beschreibt das Recht der und des Einzelnen, in Ruhe gelassen zu werden, nicht behelligt und nicht geschädigt zu werden; beziehungsweise die Verpflichtung, dieses Recht aller anderen zu achten, sie nicht zu behelligen und nicht zu schädigen. Die positive Formulierung hingegen, wie sie auch in der Bergpredigt vorkommt (Mt 7,12), gewährt genau das nicht. Sie beschreibt vielmehr die Verpflichtung, den anderen etwas zu tun. Auch wenn viele an dieser Stelle einwenden werden, dass den anderen ja Gutes, eben das, was man selbst für sich wünscht, getan werden soll, so heißt das letztlich nichts anderes, als das der/die Handelnde, also die Person, die sich durch die Regel verpflichtet fühlt, anderen das tut, was sie selbst für gut und richtig hält und nicht das, was diese anderen für gut und richtig halten. Die Goldene Regel in ihrer positiven Form kann als Aufforderung zur Zwangsbeglückung gelesen werden, die Ideologen (ob politisch oder religiös) dem Rest der Welt angedeihen lassen wollen, es ist mithin jenes Gute, von dem Thoreau sagte: „Wenn ich sicher wüsste, dass jemand in mein Haus käme, mit der festen Absicht, mir Gutes zu tun, würde ich um mein Leben laufen.“ So will der Religiöse, der das eigene Seelenheil für das Wichtigste hält, das ihm gegeben werden kann, mir womöglich Gutes tun, indem er versucht, mir ebenfalls zum Seelenheil zu verhelfen, während der Atheist möglicherweise versucht, dem Rest der Menschheit Gutes zu tun, indem er sie vom Glauben „erlöst“. Mit der positiv formulierten Goldenen Regel ist jedem Missionseifer Tür und Tor geöffnet. Wer immer zu wissen glaubt, was für alle gut ist, kann sich bei seinem Tun auf sie berufen.

Nur in ihrer negativen Formulierung begründet die Goldene Regel einen moralischen Imperativ, der Würde und Freiheit des einzelnen Menschen zum Ziel hat, denn menschliche Würde und persönliche Freiheit manifestieren sich zu allererst in dem Recht, in Ruhe gelassen zu werden.